Fake

Gerd Hallenberger

Dr. habil. Gerd Hallenberger ist freiberuflicher Medienwissenschaftler.

Gerd Hallenberger setzt sich mit „Fakes“ in der Mediengesellschaft auseinander.

Printausgabe tv diskurs: 24. Jg., 2/2020 (Ausgabe 92), S. 74-75

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Ein wichtiges Kennzeichen einer Mediengesellschaft ist, dass immer mehr Menschen immer mehr Informationen aus immer mehr medialen Quellen erhalten – und immer weniger den Wahrheitsgehalt dieser Informationen selbst überprüfen können. Die Glaubwürdigkeit von Informationen und ihren Quellen einschätzen zu können, wird so zu einer Kernkompetenz für die Unterscheidung, was man für wahr hält und was für falsch. Nicht mediale Informationsquellen, persönliche Erfahrung und persönliches Gespräch, also echtes, authentisches Erleben, spielen dagegen eine immer geringere Rolle. Das aber führt umgekehrt dazu, dass beides immer mehr symbolischen Wert erlangt: „Echtheit“ und „Authentizität“ sind geradezu zu Leitwerten der Mediengesellschaft geworden.

Unter den Bedingungen einer Mediengesellschaft sind „Wahrheit“, „Echtheit“ und „Authentizität“ natürlich selbst von Medialisierung betroffene Begriffe und das damit Gemeinte komplizierte Konstrukte. Da liegt der Verdacht nicht fern, dass die Dinge vielleicht doch nicht so sind, wie es den Anschein hat. Dieser Verdacht hat heute einen Namen: Fake. Obwohl das Wort am häufigsten im Zusammenhang mit medienvermittelten Informationen auftritt, den Fake News, geht sein Anwendungsbereich viel weiter. Auch ein Mensch kann beispielsweise als Fake bezeichnet werden, wenn er in Wirklichkeit gar nicht so ist wie der Eindruck, den er zu erwecken sich bemüht. Kopien von Markenprodukten wie etwa teuren Armbanduhren gelten ebenfalls als Fakes. Geht es um soziale Medien, machen es gleich mehrere Varianten schwer, die Glaubwürdigkeit von Beiträgen einzuschätzen. Von interessierter Seite können gleich komplette Fake-Accounts platziert werden oder lediglich einzelne Fake-Beiträge, für die Herstellung können damit beauftragte Menschen etwa in „Trollfabriken“ verantwortlich sein oder schlicht ein Computerprogramm, ein (Social) Bot.

In allen Fällen spielt eine Differenz eine wesentliche Rolle, die in der deutschen Sprache den Unterschied von „anscheinend“ und „scheinbar“ markiert. Eine Überprüfung, was nun wirklich stimmt, ist in der Situation selbst nicht möglich, eine Einschätzung jedoch unvermeidlich: Entscheide ich mich für den „Anschein“, gehe ich von der Plausibilität des momentanen Eindrucks aus – es wird wohl so sein. Das „Scheinbare“ ist jedoch immer falsch, was ich entweder sofort vermute oder erst hinterher erfahre. Beim Fake geht es im Kern darum, das Scheinbare zum Anschein zu machen oder auch umgekehrt, je nach taktischem Interesse. Diese Mehrdeutigkeit führt zu einer Ambivalenz des Begriffs, der sowohl zum Anzweifeln von Realität als auch zur Entlarvung von Lügen verwendet werden kann.

Vor allem US-Präsident Donald Trump hat seit Beginn seiner Amtszeit den Terminus „Fake News“ systematisch als rhetorische Waffe eingesetzt, um – tatsächlich überprüfbare – Fakten als böswillig in die Welt gesetzte Lügen seiner politischen Gegner zu entkräften. Und mehr als das: Fake News werden nach Trump von Fake-Medien verbreitet, womit publizistische Akteure gleich insgesamt diskreditiert werden. Mit diesem Schachzug erspart sich Trump die Mühe, sich gegen einzelne Meldungen wehren zu müssen; der pauschale Vorwurf genügt. Das deutsche Äquivalent heißt „Lügenpresse“, ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt und wird heute wieder gerne von rechtspopulistischer Seite eingesetzt. Umgekehrt hat Trump – ebenfalls nachweislich – selbst regelmäßig mit Unwahrheiten operiert, um sich die Sympathien seiner Gefolgschaft zu erhalten, was ihm logischerweise den Vorwurf eingebracht hat, selbst Fake News zu verbreiten.

Egal, ob mithilfe des Begriffs Unwahres entlarvt oder Wahres geleugnet werden soll: Es geht immer darum, Menschen zu beeinflussen. Wer Fake News in die Welt setzt oder fälschlicherweise unterstellt, verfolgt meist politische, manchmal auch kommerzielle Ziele. Das erste Ziel ist aber immer, Aufmerksamkeit zu erlangen, denn Aufmerksamkeit ist die Leitwährung in der heutigen Medienwelt – und einerseits bieten Lügen einen großen Gestaltungsspielraum, andererseits fällt allein schon der Vorwurf: „Das ist eine Lüge“ im medialen Stimmengewirr auf. Was Aufmerksamkeit erregt, ist zwar nicht automatisch glaubwürdig, Glaubwürdiges aber oft eher unspektakulär und uneindeutig, wodurch Fake News einen prinzipiellen Aufmerksamkeitsvorteil haben: Sie lassen sich je nach Erfordernis so eindeutig, laut, bunt und groß formulieren, dass die Frage nach ihrer Glaubwürdigkeit zumindest für den Augenblick in den Hintergrund tritt – insbesondere bei den Teilen des Publikums, die sich entschieden haben, das betreffende Verbreitungsmedium insgesamt für glaubwürdig zu halten und andere als Fake-Medien abzulehnen.

Zusätzliche taktische Optionen für den Einsatz des Begriffs ergeben sich daraus, dass zwar alle bewussten Falschmeldungen Fakes sind, aber nicht alle Falschmeldungen in manipulativer Absicht entstanden sind. Sie können auch schlicht auf Versehen, Irrtümern oder ungeprüft übernommenen Gerüchten beruhen. Aber dann lässt sich wahrheitswidrig behaupten, dass dahinter in Wirklichkeit absichtsvolles Handeln steckt, wodurch wir eine zweite Ebene von Fake-Vorwürfen hätten.

Für den Einsatz nicht nur sprachlicher Mittel bei der Produktion medialer Fälschungen hat sich in den letzten Jahren der Begriff „Deepfake“ etabliert. Damit sind Produktionen gemeint, die Bild- und/oder Tonmanipulationen verwenden, um hauptsächlich prominente Menschen lächerlich zu machen oder zu verleumden, beispielsweise durch den Austausch von Köpfen oder Körpern in Bildmaterial oder die freie Montage von Soundbites zu erfundenen Sprechtexten. Auch wenn das Wort neueren Datums ist, die damit gemeinte Praxis ist es nicht – die bekanntesten Vorläufer aus dem 20. Jahrhundert sind retuschierte Fotos aus sozialistischen Ländern, bei denen in Ungnade gefallene Personen im Nachhinein aus Bildern entfernt wurden. Deepfakes herzustellen, war damals noch recht aufwendig und im Ergebnis nicht immer überzeugend, dank Photoshop kann das in hoher Qualität heute dagegen jeder Laie. Misstrauen ist also angebracht, denn nichts ist schon deshalb wahr, weil es so überzeugend aussieht …