Ethisches Handeln beim Fotografieren – Professionsethik im Fotojournalismus

Felix Koltermann

Dr. Felix Koltermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur der Universität Hildesheim.

Fotoreporter nehmen für journalistische Medien die Rolle des professionellen Augenzeugen ein und fertigen visuelle Dokumente dessen an, was sich vor ihrer Kamera abspielt. Dabei sind während des fotografischen Aktes eine ganze Reihe von ethischen Fragestellungen zu klären, die für das fotojournalistische Handeln im Feld – unabhängig von den Bildern und deren Zirkulation – eine wichtige Rolle spielen.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 1/2018 (Ausgabe 83), S. 46-49

Vollständiger Beitrag als:

Es war ein Nebensatz während eines Podiumsgesprächs auf dem medien impuls der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) zum Thema „Mächtige Bilder, ohnmächtige Ethik?“ am 7. Dezember 2017 in Berlin, der aufhorchen ließ. Zum Thema „Bildethik“ äußerte Joachim Herrmann, leitender Bildredakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters in Deutschland, dass für seine Fotografen gelte, erst einmal alles zu fotografieren und dann im zweiten Schritt über bildethische Fragestellungen – vor allem hinsichtlich der Publikationswürdigkeit der gemachten Fotografien  – zu entscheiden. Problematisch ist hier das nonchalante Übergehen ethischer Fragen beim Fotografieren. Aufschlussreich ist es insofern, als hier zwei Bereiche voneinander getrennt werden, die normalerweise zusammen gedacht werden: der Akt des Fotografierens und der Akt des Publizierens. Im folgenden Text soll diese Unterscheidung dazu genutzt werden, unter dem Stichwort „fotojournalistische Professionsethik“ zu diskutieren, welche ethischen Fragestellungen beim fotografischen Akt eine Rolle spielen und wie diese das journalistische Handeln von Fotoreportern bestimmen.
 

Der Fotojournalismus als Subsystem des Journalismus

Der Fotojournalismus ist dabei als ein ausdifferenzierter Teil des Journalismus zu betrachten, der ähnlichen Werten und Normen folgt wie der Textjournalismus. Er ist der Primärfunktion des Journalismus verpflichtet, zur Selbstbeobachtung der Gesellschaft beizutragen. In der Ausgestaltung fotojournalistischer Arbeit folgt der Fotojournalismus allgemeinen journalistischen Codes wie der Aktualität, der Neuigkeit, der Relevanz und der Faktizität. Innerhalb des Fotojournalismus ist zwischen den beiden zentralen Berufsfeldern Nachrichten- und Dokumentarfotografie zu unterscheiden, die sich hinsichtlich des Grades der Ereignisfixierung, ihrer Darstellungsformen sowie der alltäglichen Arbeitsroutinen unterscheiden (vgl. Koltermann 2017, S. 53 ff.). Im Rahmen ihrer beruflichen Sozialisation, die meist „on the job“ und weniger in klar definierten Ausbildungen oder Studiengängen durchlaufen wird, lernen und verinnerlichen Fotoreporter die Standesregeln des Berufsfeldes und die professionsethischen Rahmenbedingungen.

Zentrale Referenz fotojournalistischen Arbeitens ist die Authentizität fotojournalistischer Bilder, die vom Fotoreporter als professionellem Augenzeugen garantiert wird und die als bildspezifische Ausprägung des journalistischen Objektivitätsanspruchs gelten kann (vgl. Grittmann 2007, S. 36). Die Rahmenbedingungen werden dabei von gesetzlichen Schranken und Regelungen sowie von beruflichen Kodizes als einem elementaren Teil medialer Selbstkontrolle gesetzt. In Bezug auf die fotojournalistische Professionsethik während der Produktion geht es vor allem um die Verantwortung des Fotoreporters für sein Handeln im Feld. Dieser Umstand ist von bildethischen Fragestellungen abzugrenzen, die stärker auf das Bild als Handlungsprodukt und Fragen des Zeigens und Betrachtens fokussieren. Wichtig ist jedoch, dass nur ein Teil der Regeln, die im fotojournalistischen Berufsalltag eine Rolle spielen, verschriftlicht, also kodifiziert ist, was auf die Bedeutung der Sozialisation innerhalb fotojournalistischer Institutionen verweist. Vor allem die nicht verschriftlichten, berufsspezifischen Normen und Praktiken unterscheiden sich meist zwischen Ländern und Regionen sowie fotojournalistischen Milieus.
 

Themenfelder der Fotojournalismusethik

Für eine Beschäftigung mit der Fotojournalismusethik als Professionsethik sind all die Themen relevant, die rund um den fotografischen Akt als dem zentralen Moment fotojournalistischer Produktion eine Rolle spielen. Ausgeklammert werden hier die Aspekte, welche die fotografischen Bilder und mit deren Zirkulation verbundene ethische Fragestellungen betreffen, wie z.B. das Recht am eigenen Bild oder das Zeigen von Tod und Gewalt, da diese in der Literatur zum Thema „Bildethik“ (Leifert 2007; Hackel de-Latour 2014) ausführlich behandelt werden. Themenfelder der Fotojournalismusethik betreffen das Auftreten im Feld, das Verhalten, um an Bilder zu kommen, die Art und Weise der Kooperation mit anderen am Ereignis Beteiligten, den Umgang des Fotoreporters mit der Situation vor der Kamera sowie das Spannungsverhältnis von Dokumentation des Geschehens versus Hilfeleistung für Betroffene. Die einzelnen Aspekte sollen hier eher allgemein skizziert und um Hinweise darauf ergänzt werden, ob es in den relevanten berufsethischen Kodizes der Agenturen Associated Press (AP) und Reuters sowie des deutschen Fotojournalistenverbandes Freelens Antworten darauf gibt.
 

Verhalten, um an Bilder zu kommen

Das Auftreten im Feld ist der Moment, in dem der Fotoreporter mit oder ohne Kamera als Akteur am Ort eines Geschehens auftaucht und eine konkrete soziale Situation betritt. Dabei stellt sich die Frage, ab wann und wie sich der Fotoreporter als Journalist ausgibt oder nicht, mit wem er am Ort des Geschehens auftaucht und auf welche Art und Weise er Kontakt zu Akteuren des Geschehens aufnimmt. Entscheidend für das Auftreten im Feld ist, ob es sich um eine private oder öffentliche Situation handelt und welchen Charakter das zu dokumentierende Ereignis annimmt. Von diesen Faktoren hängt es ab, ob der Fotoreporter sofort anfängt zu fotografieren, sich erst vorstellt und Kontakt zu den zentralen Akteuren aufbaut oder dem Aufbau eines Vertrauensverhältnisses eine längere Zeit widmet, bevor er die Kamera zur Hand nimmt. Im Handbook of Journalism der Agentur Reuters heißt es dazu recht allgemein: „Photographers should be as unobtrusive as possible“ (Reuters 2008), sowie zum Thema „Selbstidentifikation“: „We do not pass ourselves off as something other than a journalist“. Gekoppelt mit dem Auftreten im Feld ist das vom Fotoreporter gewählte Verhalten, um an Bilder zu kommen, und die Frage, ob von Fotografierten ein verbales und nonverbales Einverständnis zum Fotografieren eingeholt wird oder nicht, sowie der Umgang mit einem möglichen Nein zum Fotografieren, das akzeptiert, übergangen oder argumentativ aufgelöst werden kann.
 

Kooperation mit anderen Akteuren

Ein Aspekt, der für das Auftreten im Feld eine zentrale Rolle spielt, ist die Kooperation mit anderen am Ereignis beteiligten Akteuren. Je nach Charakter des Ereignisses und sozialer Situation, also beispielsweise, ob privat oder öffentlich, kann ein Fotoreporter nur am Ort eines Geschehens auftauchen, wenn er von einem beteiligten Akteur dazu eingeladen wurde. Hier ist vom Fotoreporter zu eruieren, was die Interessenlage der Akteure ist und ob es Restriktionen hinsichtlich der Berichterstattung gibt. Bei Reuters heißt es dazu: „Such photographs must say if the image was taken during an organized or escorted visit unless the photographer was truly free to work independently“ (ebd.). Von besonderer Relevanz ist dies in Konfliktsituationen, wenn z.B. das Auftauchen am Ort des Geschehens mit Militär oder Polizei von oppositionellen Kräften als Positionierung im Konflikt empfunden wird. Ein Faktor, der hiermit in Zusammenhang steht und ebenfalls in Konfliktregionen eine Rolle spielt, ist, ob es für die Fotografierten negative Folgen haben kann, wenn sie zusammen mit Fotoreportern gesehen werden. Hier geht es als Fotoreporter darum, die Folgen des eigenen Handelns für andere im Feld abzuschätzen.
 

Die Situation vor der Kamera

Verbunden mit der zentralen fotojournalistischen Berufsnorm, Beobachter des Geschehens zu sein, ist der klare Auftrag, nicht in die Situation vor der Kamera einzugreifen. „[…] we do not stage, pose or re-enact events“ heißt es dazu in den News Values and Principles. 2017 der Agentur Associated Press (AP 2017). Als einzige Ausnahme fungieren – als solche gekennzeichnete – gestellte bzw. inszenierte Porträts. Während die Form der direkten Einmischung in ein Ereignis noch relativ klar abzugrenzen ist, wird es bei der Frage nach dem (indirekten) Einfluss auf die fotografierte Situation schon komplexer. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Anwesenheit einer Kamera und eines Fotoreporters selten unbeobachtet bleibt. Die entsprechenden Kodizes von Reuters und Freelens verweisen hier vor allem auf die Notwendigkeit, dass sich Fotoreporter dieses Umstandes bewusst sein müssen, um darauf reagieren zu können. Darüber hinaus heißt es bei Freelens: „Nehmen abgebildete Personen Handlungen gezielt ‚für die Kamera‘ vor, so ist zumindest in der Bildbeschriftung darauf hinzuweisen“ (Freelens 2015).
 

Dokumentieren versus helfen

Ein Moment, in dem die zentrale Berufsnorm des Nichteingreifens als Teil der Beobachterrolle auf den Prüfstand gestellt wird, tritt dann ein, wenn Menschen vor der Kamera Hilfe benötigen. Die besondere Relevanz ergibt sich daraus, dass Fotoreporter wie andere First Responder oft die Ersten am Ort eines Geschehens sind. Wie sich in solch einer Situation zu verhalten ist, dazu schweigen sich die entsprechenden Kodizes von AP, Reuters und Freelens aus, was bedeutet, dass es weitgehend den Fotoreportern selbst überlassen ist, hier eine adäquate Entscheidung zu treffen. Dabei wird in der Regel vom Fotoreporter die Bedeutung der Dokumentation abgewogen mit der Notwendigkeit, Hilfe zu leisten. Außerdem muss der Fotoreporter abschätzen, inwieweit er sich selbst durch das Hilfeleisten in Gefahr begibt. Weitverbreitet ist in der Profession, erst ein Foto zu machen und dann zu helfen – solange keine anderen helfenden Akteure in der Nähe sind. Eine größere Bereitschaft, die eigene Rolle abzulegen und zu helfen, gibt es darüber hinaus bei Unfällen und Katastrophen, da hier der Rollenwechsel weniger Risiken birgt als in Konfliktsituationen.
 

Fazit

Die hier angerissenen Themenfelder der Fotojournalismusethik haben gemeinsam, dass diese den Fotoreporter während der Produktion und des fotografischen Aktes betreffen. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass jede soziale Situation und jedes Geschehen eigene Herausforderungen hat, die jedes Mal neu zu bewerten und von Land zu Land, von Region zu Region unterschiedlich sind. Andere externe Einflussfaktoren sind das professionelle Milieu, in dem die Fotoreporter tätig sind, ihre Beschäftigungssituation (und damit auch mögliche Konkurrenzverhältnisse zu Kollegen) sowie regionale Unterschiede. Viele damit verbundene Entscheidungen müssen intuitiv im Moment getroffen werden. Hier ist der Fotoreporter in der Regel auf sich allein gestellt. Nur eine präzise Vorbereitung sowie genaue Absprachen mit Vorgesetzten und Kollegen ermöglichen es, einige dieser Themenfelder schon im Vorhinein einzugrenzen. Sobald der fotografische Akt vorbei ist, verschiebt sich die Bedeutung von den Handlungsfolgen während des Geschehens hin zum Umgang mit dem fotografischen Bild als möglichem Produkt des Handelns.
 

Ausblick

Ziel dieses Textes war es, ethische Fragestellungen zu skizzieren, die im Moment der fotojournalistischen Produktion und des fotografischen Aktes relevant sind. Im allgemeinen Mediendiskurs ebenso wie in bildethischen Debatten bleiben diese Themen meist hinter der Fassade der fotografischen Bilder verborgen oder werden in einem Nebensatz abgehandelt – wie im eingangs erwähnten Zitat von Joachim Herrmann. Dies hat damit zu tun, dass die hier angerissenen Themenkomplexe fast immer nur individuell oder professionsintern verhandelt werden. Darüber hinaus sind im Mediendiskurs bildethische Fragestellungen, die als Ethik des Bildhandelns auf Zirkulation und Publikation von Bildern ausgerichtet ist, viel präsenter. Umso wichtiger ist in diesem Zusammenhang, immer wieder kritisch die Reichweite und den Geltungsanspruch der jeweiligen Debatten zu überprüfen und genau zu überlegen, welcher Akteur welchen Grad an Verantwortung innehat. Die hier dargelegten Beobachtungen können als Ausgangspunkt dafür dienen, präziser auf einzelne Phänomene und Akteure zugeschnittene ethische Debatten zu führen, in denen Verantwortungsbereiche klar benannt werden.
 

Literatur:

Associated Press (AP): News Values and Principles. 2017 (letzter Zugriff: 01.01.2018)
Freelens: Position zum Fotojournalismus. April 2015 (letzter Zugriff: 01.01.2018)
Grittmann, E.: Das politische Bild. Fotojournalismus und Pressefotografie in Theorie und Empirie. Köln 2007
Hackel de-Latour, R.: Bildethik im Fadenkreuz. In: Communicatio Socialis, Ausgabe 47, 4/2014
Koltermann, F.: Fotoreporter im Konflikt. Bielefeld 2017
Leifert, S.: Bildethik. Theorie und Moral im Bildjournalismus der Massenmedien. München 2007
Reuters: Handbook of Journalism. April 2008 (letzter Zugriff: 01.01.2018)