Die Verantwortung der Medien für das Gemeinwohl

Joachim von Gottberg im Gespräch mit Ina Schmidt

Begriffe wie Gemeinwohl, Public Value oder verantwortliches Handeln deuten auf etwas Großes, Wichtiges hin, das mit der Lösung gesellschaftlicher und sozialer Probleme, dem Kampf gegen Umweltzerstörung oder für den Frieden zusammenhängt und für die Gemeinschaft hilfreich sein kann. Aber wie kann man diese Begriffe ausgestalten? Worin besteht das Gemeinwohl und welche Verantwortung wird dem Einzelnen, aber auch den Medien zugeschrieben? Dr. Ina Schmidt, die mit ihrem Forum denkraeume angewandte Philosophie anbietet, hat über „die Kraft der Verantwortung“ ein Buch veröffentlicht. tv diskurs sprach mit ihr.

Printausgabe tv diskurs: 25. Jg., 3/2021 (Ausgabe 97), S. 29-34

Vollständiger Beitrag als:

 

Schnell wird heute jemandem Verantwortung zugeschrieben, oft haben wir selbst das Gefühl, für irgendetwas oder irgendwen verantwortlich zu sein. Ist immer klar, was wir damit genau meinen?

Das habe ich mich auch gefragt. Und die Antwort ist dann ziemlich ausführlich ausgefallen: Ich wollte zu klären versuchen, was wir mit verantwortlichem Handeln meinen, ohne gleich konkret zu sagen, was zu tun ist oder wie man sich verantwortlich verhalten soll. Und es geht auch um die Überlegung, an welchen Stellen es sinnvoll ist, Verantwortung einzufordern. Manchmal liegt ein Missverständnis vor oder es geht um eine zu lösende Aufgabe oder Arbeit, die man hätte erledigen müssen. Das ist ebenfalls wichtig, hat aber nicht immer etwas mit Verantwortung zu tun. Da sind wir zunächst aufgefordert, herauszufinden, was tatsächlich gemeint ist.

Bei Verantwortung geht es um eine Antwort, eine Reaktion oder eine Resonanz im Rahmen einer persönlichen oder sozialen Beziehung: Hilfsbereitschaft gegenüber Menschen in Not, Sorge für Kinder, Steuerehrlichkeit und Ähnliches.

Genau. Verantwortung bedeutet immer, auf etwas zu antworten. Und zwar aus guten Gründen. Und diese Gründe entstehen oft auch daraus, dass wir uns aufgerufen fühlen, etwas zu tun. Das heißt eben auch, in Resonanz zu gehen, und impliziert immer eine gewisse Übereinstimmung mit dem, was mich da aufruft. Ich bemühe mich, dem gerecht zu werden, indem ich Rede und Antwort stehe, so gut ich eben kann. Ich reagiere auf etwas, ich setze mich auseinander, ich handele und drücke mich nicht, obwohl ich mich nicht verpflichtet fühle oder überhaupt in der Lage sein kann, sofort so etwas wie eine Lösung oder eine endgültige Antwort präsentieren zu müssen. Es geht um eine diskursive, verantwortliche Praxis des Umgangs, mit der wir im Moment viel mehr zu tun haben, als wir ahnen.
 


Verantwortung bedeutet immer, auf etwas zu antworten.



Der Begriff „Verantwortung“ hat Konjunktur. Wenn ich ein Flugzeug benutze, fühle ich Flugscham und bin verantwortlich für die Zunahme von CO2. Auch wenn ich Fleisch esse, trage ich Verantwortung für den Klimawandel, aber auch für die Massentierhaltung.

Ja, im Guten wie im nicht so Einfachen. Die Möglichkeiten, sich als Einzelner richtig oder falsch zu verhalten, sind gegenwärtig ja kaum zu überblicken. Und sie verändern sich mit dem Wissen darüber, was mein Handeln für Folgen haben kann – wenn ich also Fleisch esse oder in ein Flugzeug steige. Dieses Wissen steht uns mehr und mehr zur Verfügung, und das hat ja erst einmal etwas Gutes. Die Frage ist aber, wie ich auf all diese Möglichkeiten reagieren kann und möchte, wenn es mir weiterhin freisteht, das eine oder das andere zu wählen. Und das eben auch noch auf verschiedenen Ebenen. Man verstößt gegen kein Gesetz, verhält sich nicht illegal, spürt aber eine moralische Verantwortung, die man mehr oder weniger an sich heranlässt. Es geht oft um das Gefühl, als Einzelner dafür zuständig zu sein, etwas gegen den Klimawandel oder die Massentierhaltung zu unternehmen, und wie sehr ich mich dafür wirklich verantworten kann. Und dieses Empfinden, sich mangels klarer Regelungen auf uns selbst zurückgeworfen zu fühlen, ist es, wodurch wir uns häufig überfordert fühlen, von dieser Erwartung an uns selbst, alles richtig machen zu müssen, weil wir ja das Wissen haben, dass es besser wäre, das Flugzeug nicht zu besteigen oder das Fleisch nicht zu essen. Und trotzdem wissen wir gleichzeitig, dass wir wahrscheinlich durch unseren Einkauf oder durch eine verweigerte Flugreise die Welt von morgen nicht verbessert haben werden.

Verantwortung geht also über das Rechtliche und Verbindliche hinaus bzw. geht dem voraus. Sie beruht eher auf einer moralischen Überlegung, wie wir ein gemeinschaftliches Handeln gut regeln wollen, darin aber auch Schuld und Fehler im Handeln des anderen festmachen können.

Ja, richtig. Und das begegnet uns auf allen Ebenen und in unterschiedlichsten sozialen Kontexten. Es geht um das Scheitern von Beziehungen, um Erziehungsfragen, das Recht zukünftiger Generationen oder ganz konkret um einen Verstoß gegen das Gesetz – dann gibt es keinen Spielraum, in dem ich die Verantwortung diskutieren kann. Die Frage ist immer, wer in diesen Momenten wirklich und warum in der Verantwortung steht. In letzter Zeit erleben wir oft eine Verantwortungsübertragung: Institutionelle Verantwortung wird auf das Individuum übertragen. Nehmen wir noch einmal das Beispiel Klimakatastrophe und Menschenrechte: Welche Produkte, die wir kaufen, sind die richtigen? Sind die Angebote im Laden unter anständigen Bedingungen und umweltneutral produziert worden? Wer ist an dieser Stelle eigentlich verantwortlich? Derjenige, der es kauft, derjenige, der es produziert, oder der Staat, der so etwas zulässt? Und diese verschiedenen Ebenen sind mittlerweile zu einem Grundrauschen geworden, dem wir uns dann aus dem Gefühl heraus, gar nicht mehr genau zu wissen, was richtig ist, ein Stück weit wieder zu entziehen versuchen.

Hat Verantwortung nicht auch sehr viel mit Gefühlen zu tun? Wenn ich mich für mein Kind verantwortlich fühle, kann das zu sehr unterschiedlichen Konsequenzen führen: Strenge oder Verständnis.

Ja, wir sprechen ja auch von einem Verantwortungsgefühl. Der Philosoph David Hume hat dem Menschen so etwas wie einen „moral sense“ zugesprochen. Wie auch immer wir diesen Sinn ausprägen, es entsteht daraus ein Bedürfnis, die Dinge richtig machen zu wollen, weil wir für sie sorgen wollen, ihnen verbunden sind. Hans Jonas sagt in seinem Buch Das Prinzip Verantwortung, dass sich das Verhältnis von Eltern zu Kindern als eine Art Urszenario der Verantwortung denken lässt. Er vergleicht das mit Regierungen und Staatslenkern, die dann ein ähnliches Verhältnis zu ihrer Nation oder ihren Mitbürgern aufbauen sollten. Es geht um ein notwendiges Empfinden dafür, was einem wichtig ist – und eben nicht nur um rationale und theoretische Begründungen, sondern um verschiedene Spielarten der Liebe, der Sorge und der Zuneigung. Daraus entsteht dann weiter die Frage, ob wir das ohne klare Regeln hinbekommen können, auch das kennen wir aus der Erziehung und Bildungsarbeit. Und da sind nachvollziehbare Gründe sehr wichtig: Bleibt es bei impulsiven Gefühlen oder emotionaler Nähe? Oder entsteht aufgrund der Liebe zu unserem Kind ein nachvollziehbares Regelgerüst, das nicht immer einfach sein muss, aber begründbar ist? Und diese Gründe können auch in unserer gefühlten Erfahrung liegen, sollten aber formulierbar sein. Es ist eine große philosophische Diskussion, ob man Emotionen als Gründe anerkennen kann.

Werden in einer Welt, die immer komplexer wird, Verantwortung und Verantwortungsübernahme nicht immer wichtiger? Sind wir als Individuen nicht auch deshalb verantwortlich, weil wir uns auf die Regierungen nicht immer verlassen können?

Durch wachsende Komplexität unserer Lebenswelt entstehen immer mehr Fragen, es werden immer mehr Unklarheiten und Widersprüche sichtbar. Nach 300 Jahren Aufklärung sind wir aber sehr von naturwissenschaftlichen und mechanischen Zusammenhängen geprägt, die an eine lineare und verständliche Welt glauben wollen. Nun beginnen wir vielleicht gerade, uns umzugewöhnen, aber auch der postmoderne Gedanke einer relativistischen Konstruktion, in der alles irgendwie seine Berechtigung hat, scheint nicht wirklich tragfähig. Letztlich brauchen wir wahrscheinlich so etwas wie einen relationalen Wahrheitsbezug, indem wir uns in Beziehung zur Welt setzen und wirklich Resonanzen herstellen. Verantwortliche Praxis bedeutet genau das: zwischen verschiedenen Polen und mitten in Ambivalenzen handlungsfähig zu bleiben, um etwas Stärkendes möglich zu machen, das Gründe findet und Verbindungen ermöglicht. Im Menschen steckt die Fähigkeit, auf eine ihm gestellte Frage oder eine Problematik wahrhaftig antworten zu wollen. Es geht um das, was ein gutes menschliches Miteinander ausmachen soll.
 


Durch wachsende Komplexität unserer Lebenswelt entstehen immer mehr Fragen, es werden immer mehr Unklarheiten und Widersprüche sichtbar.



Wird der Begriff „Verantwortung“ nicht auch durch die Säkularisierung immer wichtiger, weil die von Gott eindeutig vorgegebenen Verhaltensregeln, beispielsweise für Ehe oder Sexualität, nicht mehr gelten? Habermas schlägt die Diskursmoral als Alternative vor, wir müssen also das richtige Verhalten selbst im Diskurs entwickeln.

Genau. Im Moment hängen wir oft in der Vorstellung fest, dass wir mit unserer Verantwortung eine Art Zustand beschreiben oder eine letzte Lösung finden müssen. Wenn man fragt: Wer ist hier der Verantwortliche, dann soll jemand ein Problem lösen und eine Sache zu Ende bringen. Die Idee der Diskursethik bei Habermas sieht das Ziel eher darin, sich im Diskurs zu üben, in der Offenheit zu verbleiben und in dieser Uneindeutigkeit zu lernen, sich in dem Diskurs zu bewegen. Und da sind wir im Moment extrem gefordert. Gerade jetzt in Bezug auf die Frage, was nach der Pandemie kommt, was wir in Bezug auf eine Zukunft tun, die wir nicht kennen können, wie sieht eine Verantwortung für die kommenden Generationen aus? Ständig begegnet uns da ja diese Problematik, dass wir dies eigentlich nicht wissen und keine verlässliche Prognose auf den Weg bringen können. Und wenn uns das gelingt und wir tatsächlich Begriffe wie Agilität, Transformation oder Disruption auch ernsthaft als Teil unserer eigenen menschlichen Begrenztheit denken lernen, dann entsteht vielleicht das, was Hans Jonas als eine bescheidenere und begrenztere Haltung dessen, was wir verantworten können, beschrieben hat. Dann entsteht eine andere Perspektive auf das, was eine gute Entscheidung oder ein guter nächster Schritt sein kann, es entsteht eine Haltung, die Jonas als „Frugalität“ bezeichnet hat.

Karl Jaspers hat schon 1946 die Frage gestellt, wie es mit unserer Verantwortung gegenüber dem, was im Dritten Reich passiert ist, aussieht. Müssen wir uns mehr einmischen?

Mit diesem Gedanken kommt ja noch eine neue Ebene der Verantwortung ins Spiel, die zeitliche, die nicht nur auf die Zukunft gerichtet ist. Also: Worauf richtet sich unsere Verantwortung in der Vergangenheit, was wollen wir unbedingt bewahren und was nie wieder erleben müssen? Wenn wir heute auf das Dritte Reich schauen, gilt es, sich zu fragen, woraus wir uns heute nicht heraushalten dürfen. An welcher Stelle sind wir wirklich gefragt? Und wo habe ich das Gefühl, dass ich diese Haltung zwar einnehmen will, es aber dann nicht schaffe, sie umzusetzen? Ist es Angst, ist es Bequemlichkeit oder fehlen mir die Mittel oder die Fähigkeiten dafür? Wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, müssen wir erst einmal diesen Übertragungsprozess hinbekommen: Wann wollen wir heute keine Mitläufer mehr sein und uns heraushalten, wann wollen wir Kritik üben und den Mund aufmachen? Welche Gesetze sind es, die wir kritisieren wollen? Das ist ja auch gerade zum Thema „Gefahr durch Corona“ eine interessante Diskussion: Gilt es hier, die Meinungsfreiheit zu verteidigen? Und welche anderen Grundrechte gilt es hier ebenfalls zu diskutieren? Und da sind wir oft viel zu schnell darin, Urteile zu fällen und recht haben zu wollen. Die konstruktive Debatte und die wohlwollende Auseinandersetzung kommen im Moment immer noch zu kurz.

Nehmen wir Stauffenberg, heute Nawalny oder die Demonstranten in Belarus: Diese Menschen riskieren extrem viel, um eine politische Wirkung zu erzeugen, obwohl sie wissen, dass sie scheitern können. Nawalny ahnte wahrscheinlich, dass er nach seiner freiwilligen Rückkehr nach Russland im Gefängnis landen würde – und trotzdem ging er zurück. Ist das nicht mehr Heldentum als Verantwortungsbewusstsein? Und ist das auf der anderen Seite, z.B. gegenüber der eigenen Familie, auch ein verantwortliches Handeln?

Diese Frage kann kaum jemand beantworten, die wird offenbleiben müssen. Ganz sicher ist das, was Nawalny als seine Aufgabe ansieht, nicht als verantwortliche Praxis zu verallgemeinern; und damit ist er wahrscheinlich wirklich eher eine Heldenfigur. Er hat klare Prioritäten für sein Handeln gesetzt – in dem Wissen, dass er diese mit dem Leben bezahlen könnte. Das ist sicher mehr, als wir erwarten können und sollten, wenn wir über Verantwortung als soziale Praxis nachdenken. Aber ein solches Heldentum lässt sich vielleicht auch auf verschiedenen Ebenen denken. Es ist nicht jeder dazu in der Lage, ein Nawalny oder ein Stauffenberg zu sein – und dafür gibt es sehr gute Gründe. Aber es wäre trotzdem möglich, sich an manchen Stellen etwas heldenhafter zu verhalten, als wir es tatsächlich tun, und sei es nur im Anerkennen der Grenzen, die wir in unserem eigenen Handeln haben, oder auch der Unfähigkeit oder der Angst, die uns daran hindern. Und manchmal braucht es auch Mut, um zu thematisieren, was uns wichtig ist, und das vor anderen zu vertreten. Diese Aufgabe kann sich jeder von uns setzen, auch wenn es nicht immer klappt, die Erwartungen an sich selbst zu erfüllen.
 

Tagesschau: Prozess gegen Nawalny-Organisation beginnt (2021)



Verantwortungsübernahme heißt auch, scheitern zu können. Ich versuche etwas, von dem ich glaube, dass es gelingen könnte, auch wenn ich nicht genau weiß, ob es tatsächlich funktioniert.

Ja, und das ist wirklich ein wichtiger Punkt. Auch Karl Jaspers weist genau darauf hin, und deshalb ist das Eingangszitat zu meinem Buch von ihm mir auch so wichtig: Er sieht in dem Versuch, den wir aus guten Gründen und aus vollem Herzen wagen, den wesentlichen Wert, der nicht allein am Ergebnis der eigenen Handlung festgemacht werden darf. Da sind wir auch bei dem Unterschied zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethik: Was ist es, das uns zu einem solchen Versuch motiviert und dazu bringt, uns so oder so zu verhalten? Und was sind die Folgen, die wir erwarten? Die Beurteilung eines Verhaltens hängt davon ab, aus welcher Perspektive ich beurteile, was darin das Richtige und das Wesentliche ist. Und diese ständige Verquickung mit anderen Kontexten, mit anderen Menschen, mit anderen möglichen Perspektiven ist das, was Verantwortung oft diffus und vielleicht idealistisch wirken lässt. Aber jeder von uns hat die Möglichkeit, Dinge zu versuchen und im eigenen Umfeld herauszufinden, was in unserer Macht steht und was tatsächlich mit ein bisschen mehr Mut und Tatkraft eine positive Veränderung herbeiführen könnte, die eben nicht unbedingt dazu führen muss, dass sich das politische System ändert. Aber auch dafür gibt es Beispiele, wie das von privaten Aktivisten erreichte Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Stärkung des Klimaschutzes oder ein Prozess in den Niederlanden gegen die Umweltverstöße von Shell in Nigeria, in denen einzelne Bürger die Gerichte angerufen haben und dadurch hoffentlich eine große Verbesserung herbeiführen werden. Wir haben also durchaus Möglichkeiten, die wir noch stärker nutzen können, ohne Leib und Leben riskieren zu müssen.

Julian Assange oder Edward Snowden haben Daten und Sachverhalte veröffentlicht, die bisher von der Politik geheim gehalten wurden. Gleichzeitig haben beide aber auch eine ganze Reihe von US-Agenten in große Gefahr gebracht, einige hat das wohl ihr Leben gekostet. Verantwortung heißt auch, Prioritäten zu setzen und negative Folgen in Kauf zu nehmen.

Das stimmt, und daher geht es in der Praxis der Verantwortung immer um die Fähigkeit des Abwägens. Welche dieser Folgen kann ich tatsächlich absehen und wie verantwortlich gehe ich mit Risiken um? Es wird Folgen geben, die nicht absehbar waren, die aber dennoch in meiner Verantwortung liegen, weil ich eine Entscheidung getroffen habe, die zu diesen Folgen geführt hat, es gab Risiken, die ich fahrlässig in Kauf genommen habe. Letztlich sind es mein Gewissen, meine Gesinnung, meine innere Überzeugung und meine Prioritäten, die darüber entscheiden, ob ich glaube, dass die Folgen sehr viel positiver sind als die Gefahren und die Risiken, die gleichzeitig damit in Kauf genommen werden müssen. Auch das Risiko, dafür bestraft zu werden oder mich vor einem Gericht verantworten zu müssen, ist Teil der Abwägung, die notwendig ist, bevor ich handele.

Was auch immer in der Welt passiert, wird heute durch die Medien an jeden, der es will, herangetragen. Die Medien spielen deshalb bei der Werteentwicklung, gerade bei dem Wertediskurs, wie Habermas ihn beschrieben hat, eine zentrale Rolle …

Ja. Die Medien präsentieren im besten Falle die Abbildung eines Diskurses, der in der Gesellschaft sowieso stattfindet, aber sie beeinflussen und verändern diesen Diskurs auch stark. Denn sie entscheiden, was sie von diesem Diskurs darstellen, was sie weglassen oder was sie in den Vordergrund rücken. Diese Selektion ist unvermeidbar, sie kann dazu führen, dass eine Art „Synchronisation“ entstehen kann. Damit ist ein dialogisches und vielfältiges Miteinander gemeint, in dem auch durchaus kritisch zum Thema gemacht wird, was in den Medien sichtbar wird und Raum bekommen kann – und was eben nicht, selbst wenn es sich dabei um eine lukrative Geschichte handelt. Ich weiß allerdings nicht, ob die Medienmacher ihre eigene Verantwortung selbst immer so sehen.

Medien anzubieten, ist teuer. Da kann es zu Konflikten kommen: Diene ich der Allgemeinheit oder folge ich ausschließlich ökonomischen Interessen?

Dieses Problem haben wir nicht nur in den Medien. Der Konflikt zwischen den eigenen ökonomischen Interessen und dem, was das „moralisch Richtige“ oder dem Gemeinwohl dienlich wäre, diskutieren wir doch ständig. Denken wir an den Abgasskandal bei Dieselfahrzeugen oder an die grundsätzlichen Fragen der Energiewende: Wir finden unterschiedliche Verantwortungsvorstellungen und Ebenen vor; und oft misslingt der Versuch, sie miteinander in Einklang zu bringen. Kann jemand, der verantwortlich für ein Unternehmen oder für einen Fernsehsender ist, als Mensch seine persönlichen Werte auch im Beruf vertreten, in dem er ökonomisch einen Ertrag bringen muss? Das mag idealistisch sein, aber es trifft auf viele gegenwärtige wirtschaftliche und politische Entscheidungen zu. Es geht doch nicht darum, auf ökonomischen Erfolg zu verzichten, sondern ihn auf verantwortbare Weise zu erreichen – und das ist sicher nicht leicht und manchmal auch schmerzhaft. Aber sich ausschließlich auf den Erhalt des eigenen Unternehmens zu konzentrieren und darin die Interessen anderer zu verletzen oder Ressourcen auszubeuten, kann sicher nicht Teil verantwortungsvoller Praxis bedeuten. Ich denke, an dieser grundsätzlichen Wahrheit kommen wir am Ende nicht vorbei – auch in den Medien nicht.
 


Es geht doch nicht darum, auf ökonomischen Erfolg zu verzichten, sondern ihn auf verantwortbare Weise zu erreichen …



In letzter Zeit wird von den Medien mehr Verantwortung für den Public Value eingefordert …

Dass die Medien diese Verantwortung tragen, lässt sich nicht verhandeln. Die Frage ist, wie wer was ausgestaltet und was dabei unter Verantwortung verstanden wird. Als Macher bin ich verantwortlich für mein Format, für mein Produkt, während die Zuschauer vielleicht einfach nur unterhalten werden wollen. Ich bin verantwortlich für eine bestimmte Idee von der Art meiner Berichterstattung: Welchem Sender gehöre ich an, für wen arbeite ich warum. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat das Thema „Verantwortung“ eine größere Bedeutung als bei einem Privatsender – schlicht, weil der eigene Auftrag ein anderer ist. Man muss sich doch immer fragen können: Wovon bin ich mit meinem Handeln ein Teil und warum? Ich habe ein Problem, wenn ich mich in einem Kontext wiederfinde, mit dem mein Handeln und mein Verantwortungsgefühl nicht in Resonanz und nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Dann habe ich die Wahl, mein Arbeitsverhältnis zu beenden, oder ich versuche, das Format zu verändern oder entscheide mich für andere Wege, die zur Verfügung stehen. Wenn ein Formatverantwortlicher den eigenen Kindern verbietet, seine Sendung anzuschauen, dann stimmt etwas nicht.

In manchen Bereichen ist die Verantwortung unumstritten, schon im Kanon des Presserates steht die Wahrhaftigkeit in der Berichterstattung an oberster Stelle. Dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird oft vorgeworfen, dass es zu viel Unterhaltung zeigt.

Die Grundfrage liegt erst einmal darin, was ich als Medienmacher in die Welt bringen möchte, was ich erzählen will und worum es geht. Und dann kann ich fragen, welches Format sich dafür am besten eignet. Ich habe gestern einen interessanten Beitrag über das neue Format Princess Charming (RTL) gehört, eine Datingshow für lesbische Paare, und die Debatte darüber, inwieweit so eine Sendung auch politisch relevant ist, weil sie Menschen erreicht, die sich mit Genderfragen oder der LGBTQ-Community wahrscheinlich weniger beschäftigen oder damit kaum persönliche Berührungspunkte haben. Wenn ich mich als Autor oder Produzent diesem Ziel verpflichte, solche Räume zu schaffen, ist es durchaus sinnvoll, dazu auch Unterhaltungsformate zu kreieren. Ich kann natürlich auch Unterhaltungsformate entwickeln, die möglichst viel Quote bringen sollen, und hinterher feststellen, dass daran auch politische Debatten anknüpfen können. Also erneut die Frage: Was will ich aus guten Gründen zum Ausdruck bringen und was lasse ich einfach geschehen, weil ich ökonomisch erfolgreich sein will?
 


Will ich so viele Menschen wie möglich glücklich machen oder geht es darum, welche Themen in der Gesellschaft gerade von Bedeutung sind?



Gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit seinem besonderen Bildungsauftrag stellt sich hier z.B. die Frage, warum es sinnvoll sein soll, einen Krimi nach dem anderen auszustrahlen. Da gäbe es sicher Unterhaltungsformate, die besser in der Lage wären, eine bestimmte Botschaft zu übermitteln oder Geschichten zu erzählen, die eher im Einklang mit verantwortungsvollem Fernsehen stehen können. Und Beispiele dafür gibt es ja. Eine solche Diskussion würde ich mir wünschen, wenn es um das Gemeinwohl oder um Vielfältigkeit geht. Will ich so viele Menschen wie möglich glücklich machen oder geht es darum, welche Themen in der Gesellschaft gerade von Bedeutung sind? Und wie kann ich dafür Formate, Themen oder Überschriften finden, die Interesse wecken, ohne nur mit dem moralischen Zeigefinger zu winken? Die oft etwas eigenwilligen Formate von Joko und Klaas z.B. zeigen doch, dass Menschen durchaus auf ernsthafte Themen reagieren. Sie haben mit ihrer Sendung Das Duell um die Welt zwar auch den Jugendschutz auf den Plan gerufen und überschreiten durchaus auch Grenzen, was sicher dazu beiträgt, dass die Aufmerksamkeit so groß ist. Also muss man hier fragen: Geht es tatsächlich um die Themen oder geht es um Exzentrik oder Grenzgängertum, was in diesen Shows gefeiert und zelebriert wird? Egal, wie man darauf antwortet, trotz allem wird darin sichtbar, dass es nicht zwingend leichte und seichte Unterhaltung sein muss, die Menschen zum Fernsehen bewegt. Und es darf auch durchaus zum Mit- und Nachdenken aufgefordert werden, das mehr ist als laute Empörung oder Rechthaberei. Ich habe den Eindruck, dem Zuschauer wird oft zu wenig zugetraut. Auch da wäre manchmal mehr Mut angebracht.
 

Dr. Ina Schmidt hat als Kulturwissenschaftlerin das Forum denkraeume gegründet. Sie ist Mitglied im Ideenrat des Zentrums für gesellschaftlichen Fortschritt in Frankfurt sowie der Internationalen Gesellschaft für philosophische Praxis (IGPP) und des Expertennetzwerks der Liechtenstein Academy.

Prof. Joachim von Gottberg ist Chefredakteur der Fachzeitschrft tv diskurs.