Das Prinzip Provokation

Jörn Zahlmann

Jörn Zahlmann hat an der Hochschule Magdeburg Stendal Journalismus studiert und volontiert derzeit bei der „Elbe-Jeetzel-Zeitung“ in Lüchow.

Unsere Nachrichtenkriterien scheinen gemacht zu sein für populistische Kampagnen. Der ehemalige Reality-TV-Produzent US-Präsident Donald Trump hat es während seines kontrovers geführten Wahlkampfes 2016 perfekt verstanden, maximale mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Das bestätigt eine quantitative Untersuchung der Berichterstattung in der „New York Times“ und dem „Wall Street Journal“. Sie zeigt nicht nur, wie sehr amerikanische Medien und Donald Trump trotz ihres zerrütteten Verhältnisses voneinander profitierten, sondern vor allem, wie anfällig Journalismus für die Charakteristika populistischen Auftretens ist.

Printausgabe tv diskurs: 23. Jg., 1/2019 (Ausgabe 87), S. 8-12

Vollständiger Beitrag als:

Im Februar 2016 standen in vielen amerikanischen Bundesstaaten die Präsidentschaftsvorwahlen an. Republikaner und Demokraten ließen dort ihre Kandidaten wählen. Donald Trumps Medienpräsenz war riesig, obwohl er für viele Experten noch als schriller Außenseiter galt. Leslie Roy Moonves, Chef der amerikanischen Medieninstitution CBS, kommentierte Trumps Medienpräsenz bei einer Konferenz in San Francisco gegenüber dem „Hollywood Reporter“ mit einem Satz, den er später noch bereuen sollte:

It may not be good for America, but it’s damn good for CBS.“ (vgl. Collins 2016)

Prägnanter hätte Moonves nicht zuspitzen können, wie Donald Trump mit seinem kontroversen Wahlkampf schnell zum Quotengaranten für Amerikas fast ausschließlich kommerziell organisierte Medienlandschaft avancierte.
 

Trump und die Medien: eine Hassliebe

Laut einer Studie des amerikanischen Medienforschungsinstituts mediaQuant überließen amerikanische Fernsehsender Trump im Wahlkampf gemessen an äquivalenten Werbeminuten kostenfreie Sendezeit im Wert von etwa 2 Mrd. US-Dollar, Hillary Clinton hingegen kam nur auf rund 750 Mio. US-Dollar (vgl. Confessore/Yourish 2016). Auf der anderen Seite verzeichneten amerikanische Massenmedien wie CNN im Wahljahr 2016 hohe Einschaltquoten und außergewöhnlich gute Geschäftsergebnisse (vgl. Schneider 2016). Dennoch zeigen u.a. kontroverse Pressekonferenzen und „Fake-News“-Zuschreibungen Trumps, dass er weite Teile der amerikanischen Medienlandschaft nicht schätzt. Die Berichterstattung ist wohl bis heute überwiegend kritisch (vgl. Patterson 2017).
 

Die quantitative Untersuchung

Die Studie Trump-Baiting: Mediale Aufmerksamkeitsgenerierung während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs 2016 hat sichtbar gemacht, wie präsent Trump und Clinton im Onlinejournalismus von „New York Times“ und „Wall Street Journal“ zu bestimmten Zeitpunkten während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes waren. Hierfür wurden die Überschriftenerwähnungen von Donald Trump und Hillary Clinton in online publizierten „New York Times“- und „Wall Street Journal“-Artikeln während drei wichtiger Ereignisse im Wahlkampf erfasst. Das ist zum einen der sogenannte Super Tuesday, an dem in sieben großen Bundesstaaten Vorwahlen zur Ernennung des republikanischen Präsidentschaftskandidaten und der demokratischen Präsidentschaftskandidatin stattfanden. Der Wahltag und die zwei vorangegangenen und nachfolgenden Tage waren Bestandteil der Inhaltsanalyse. Ebenso wurden die beiden Parteitage der demokratischen und republikanischen Partei in der Untersuchung berücksichtigt, weil sie traditionell als große Inszenierung angelegt sind und den inoffiziellen Start in die wichtigste Phase des Wahlkampfes markieren. Weiterhin galten die drei TV-Duelle zwischen Donald Trump und Hillary Clinton als mitentscheidende Ereignisse im Wahlkampf, sodass die Berichterstattung rund um diese drei Termine ebenfalls auf die Erwähnungen Trumps bzw. Clintons untersucht wurde. An insgesamt 22 Tagen wurden 1.551 Überschriftenerwähnungen erfasst, die den Namen Trumps oder Clintons enthielten. War die Namensnennung zu einem der beiden Präsidentschaftskandidaten genau zuordenbar, wurden auch nur Vornamens- bzw. Nachnamensnennungen, also „Donald“, „Trump“, „Hillary“ oder „Clinton“ gewertet. Fanden in den Überschriften sowohl Clinton als auch Trump Erwähnung, wurden die Nennungen für beide Personen gezählt. Nicht erfasst wurden Überschriften, die sich entweder eindeutig auf Verwandte der Kandidaten bezogen, also z.B. auf Donald Trump Jr. oder Bill Clinton. Außerdem fanden diejenigen Namensnennungen in der Inhaltsanalyse keine Beachtung, die sich auf Unternehmen oder Stiftungen Donald Trumps oder Hillary Clintons bezogen, wie z.B. die Clinton Foundation oder die Trump Organization.
 

Mehr als zwei Drittel Trump

Unter Berücksichtigung aller erfassten Überschriftenerwähnungen auf den Internetseiten von „Wall Street Journal“ und „New York Times“ konnten 35 % aller 1.551 Erwähnungen Hillary Clinton zugeordnet werden, während sich 65 % der Nennungen in den betrachteten Zeiträumen auf Donald Trump bezogen. Von den erfassten Überschriften in der „New York Times“ enthielten 68 % eine Erwähnung Trumps (566) und 32 % eine Erwähnung Clintons (272). Im „Wall Street Journal“ tauchte der Name Trump in 63 % der Überschriften auf (449), Hillary Clinton kam auf 37 % (264). Die eher linksgerichtete Medieninstitution „New York Times“ berichtete also in diesem Vergleich verhältnismäßig häufiger über Trump als das „Wall Street Journal“, dem eher ein konservatives Selbstverständnis zugerechnet wird. Besonders prägnant sind die Unterschiede während der Berichterstattung im Vorwahlkampf über den Super Tuesday: Sowohl Trump als auch Clinton gewannen die Vorwahlen in sieben Bundesstaaten und wurden ihrer Favoritenrolle gerecht. Trotzdem fand Trump in den Überschriften von Onlineartikeln der untersuchten Tageszeitungen im Vergleich zu Clinton zu 74 % Erwähnung. Hillary Clinton tauchte in 26 % der erfassten Überschriften auf.

Ergänzend wurde in der oben genannten Studie des Autors eine bestehende Erhebung herangezogen: Die Datenbank des amerikanischen GDELT Projects (Global Database of Events, Language, and Tone) hat alle Namenserwähnungen von Trump und Clinton in den Fernsehsendern CNN und FOX NEWS automatisch erfasst und kommt im Untersuchungszeitraum zu einem ähnlichen Ergebnis. Demnach kam Trump beim Fernsehsender CNN auf 28.683 Erwähnungen und Clinton auf 13.751. Das entspricht einem Verhältnis von 68 % zu 32 %. Ausgeglichener stellte sich das Verhältnis bei FOX NEWS dar, obwohl dem Sender eine Nähe zu Republikanern und dem jetzigen Präsidenten Trump zugeschrieben wird. Dort stehen 21.135 Erwähnungen von Trump (65 %) 11.276 Erwähnungen von Clinton (35 %) gegenüber (vgl. The GDELT Project 2016).
 

Journalistische Selektionskriterien und Populismus

Die Politikwissenschaftlerin Paula Diehl formulierte bereits 2012 die Merkmale Komplexitätsreduktion, Polarisierung, Emotionalisierung, Anti-Elitarismus und die Institutionsfeindlichkeit als wesentliche Kriterien des Populismus (Diehl 2012, S. 15 ff.). In Donald Trumps Wahlkampf finden sich diese Merkmale wieder – er hat sich während des Wahlkampfes z.B. oft als Gegenpol zur regierenden Politikelite in Washington D.C. inszeniert. Dieses „Establishment“ sah Trump als ein vermeintlich korruptes und volksfernes Konstrukt (vgl. Reilly 2018).
 

Mit seiner Bachelorarbeit Trump-Baiting: Mediale Aufmerksamkeitsgenerierung während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs 2016 gewann Jörn Zahlmann 2018 den wissenschaftlichen Nachwuchspreis medius. Die Sketchnote von Ines Schaffranek (Pheminific) fasst  seine Arbeit bildlich zusammen.

 

Ingo Zamperoni: „Die Klickzahlen auf www.tagesschau.de sind gut, wenn es um Trump geht“

Der ehemalige Amerika-Korrespondent und heutige Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni argumentiert bei einem für die Studie geführten Experteninterview, dass sich das Ergebnis teilweise aus der spezifischen US-Mediensituation erklären lässt. Die kommerziell organisierte Medienlandschaft sei besonders anfällig für Trumps Wahlkampf gewesen: „Ich denke, dass die Gefahr, in populistische Fahrwasser zu geraten, um die Quote zu maximieren, bei den amerikanischen Medien höher ist als bei uns in Deutschland, weil fast alle kommerziell organisiert sind. […] Es ist ein wenig ein Problem der Glaubwürdigkeit, wenn ein Medienunternehmen Disney oder General Electric gehört.“

Diehl argumentiert ähnlich: „Je stärker die Massenmedien auf den kommerziellen Erfolg angewiesen sind, desto entscheidender werden ihre Selektionskriterien in Bezug auf die Erhöhung der Publikumsaufmerksamkeit. Für die politischen Akteure heißt das: Je besser ihr Kommunikationsstil an diese massenmedialen Regeln adaptiert ist, desto höher ist die Chance auf Publizität“ (Diehl 2012, S. 20).

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen formuliert im November 2016 noch offensiver ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen amerikanischen Medien und populistischen Mechanismen am Beispiel des Wahlkampfes von Donald Trump: „Aggressivität gegen Publizität, Pöbelei gegen Plattform, Schmutz gegen Sendezeit – das waren die zentralen, das Fernsehgeschäft regierenden Tauschformeln in diesem zur Schlammschlacht eskalierten Wahlkampf. Und Trump lieferte zuverlässig immer neue Attacken, dröhnende Soundbites, Skandälchen in Serie. Um bis zu 170 Prozent stiegen die Zuschauerzahlen, wenn er auf Sendung ging“ (Pörksen 2016).

Auch Pörksen bezieht sich auf Analysen zur Mediendominanz Trumps und die wirtschaftlichen Interessen der kommerziellen Massenmedien in den USA: „Dieses Geschäft auf Gegenseitigkeit erlaubte Trump die totale publizistische Dominanz, das zeigen vergleichende Analysen. Er war Star und Antistar in einer Person, kannibalisierte in immer neuen Wendungen das knappe Gut der Aufmerksamkeit, frei nach dem Motto: ‚Call me pig, but call me!‘ Das ist die Lehre, die man aus all dem ziehen kann: Fernsehmacher und Populisten sind durch ein gemeinsames Geschäftsinteresse miteinander verbunden. Der eine will vorkommen, will möglichst kostenfrei Sendezeit zur Verbreitung der eigenen Botschaften akquirieren; die andere Seite braucht die Figur des schillernden Provokateurs als Quotenbringer und Aufmerksamkeitsgarant. Beide Seiten glorifizieren das Extrem“ (ebd.).

Zamperoni spricht im Experteninterview davon, dass Trump auch in deutschen öffentlich-rechtlichen Medien aufgrund seines Stils sehr präsent war: „Man überlegt sich: Was funktioniert? Was zieht das Publikum an? Wenn man ehrlich ist, hatten wir wahrscheinlich auch das ein oder andere Mal Trump im Programm, obwohl es nicht unbedingt nötig war.“

Viele amerikanische Journalistinnen und Journalisten bewerteten ihre Berichterstattung während des Wahlkampfes kritisch, so auch die „Washington Post“-Journalistin Margaret Sullivan:

The strange thing, of course, is that the media helped to give Trump his chance. Did journalists create Trump? Of course not – they don’t have that kind of power. But they helped him tremendously, with huge amounts of early, unfiltered exposure in the months leading up to the Republican primary season.“ (Sullivan 2016)

Zamperoni war während des Vorwahlkampfes noch als ARD-Korrespondent in Washington tätig. „Trump war durch seine Medienpräsenz in Bereichen des Landes bekannt, die von der Politik normalerweise nie erreicht wurden. Diesen Vorteil hatte er auch während der Vorwahlen gegenüber seinen eigenen Parteikollegen. Trump kannte einfach jeder, und aus dieser Perspektive hat er einen Start-Ziel-Sieg hingelegt. Er hat während der Vorwahlen zu jedem Zeitpunkt in den Umfragen geführt, und das ist so geblieben. Ich glaube schon, dass Aufmerksamkeit dann auch ein wenig zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung wird.“
 

Trump: „It’s in the nature of their job“

Trump formulierte bereits im Jahr 1987 in seinem ersten Buch The Art of the Deal sein Verständnis von einem erfolgreichen Umgang mit Medien: “One thing I’ve learned about the press is that they’re always hungry for a good story, and the more sensational the better. It’s in the nature of the job, and I understand that. The point is that if you are a little different, or a little outrageous, or if you do things that are bold or controversial, the press is going to write about you. I’ve always done things a little differently, I don’t mind controversy, and my deals tend to be somewhat ambitious.“

Sein Wahlsieg bestätigt diese Aussage nach fast 30 Jahren eindrücklich – und stellt infrage, ob diese Art von Journalismus von gesellschaftlichem Mehrwert ist. Die dargestellten Untersuchungsergebnisse legen nahe, dass Trumps Wahlkampf durch polarisierende und kontroverse Aussagen die Aufmerksamkeitsmechanismen der Massenmedien effizient bediente. Die eingangs erwähnte Aussage von Moonves und Trumps Zitat zeigen, wie abhängig Massenmedien und Populismus voneinander sind. So kann abgeleitet werden, dass die Abbildung der Extreme in Schwarz und Weiß sowohl für politische Akteure als auch für kommerzielle Massenmedien Erfolg versprechender ist als die Auseinandersetzung mit einzuordnenden Grautönen.
 

Literatur:

Collins, E.: Les Moonves: Trump’s run is ‚damn good for CBS'. In: Politico, 29.02.2016 (letzter Zugriff: 06.12.2018)

Confessore, N./Yourish, K.: $2 Billion Worth of Free Media for Donald Trump. In: The New York Times, 15.03.2016 (letzter Zugriff: 06.12.2018)

Diehl, P.: Populismus und Massenmedien. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 5 – 6/2012/62, S. 15 – 21

Haberman, M.: Donald Trump Deflects Withering Fire on Muslim Plan. In: The New York Times, 08.12.2015 (letzter Zugriff: 10.12.2018)

Patterson, T. E.: News Coverage of Donald Trump’s First 100 Days. In: Shorenstein Center on Media, Politics and Public Policy. Mai 2017 (letzter Zugriff: 06.12.2018)

Pörksen, B.: Medien zum US-Wahlkampf. Die Schuldfrage. In: Zeit Online, 11.11.2016 (letzter Zugriff: 06.12.2018)

Reilly, K.: Donald Trump Makes Closing Argument to Voters in New Ad. In: Time, 2018 (letzter Zugriff: 10.12.2018)

Schneider, M.: Most-Watched Television Networks: Ranking 2016’s Winners and Losers. In: IndieWire, 27.12.2016 (letzter Zugriff: 06.12.2018)

Sullivan, M.: The media didn’t want to believe Trump could win. So they looked the other way. In: The Washington Post, 09.11.2016 (letzter Zugriff: 06.12.2018)

The GDELT Project: Presidential Campaign 2016: Candidate Television Tracker (letzter Zugriff: 06.12.2018)

Trump, D./Schwartz, T.: The Art of the Deal. New York 1987

Ye Hee Lee, M.: Donald Trump’s false comments connecting Mexican immigrants and crime. In: The Washington Post, 08.07.2015 (letzter Zugriff: 06.12.2018)

Zahlmann, J.: Trump-Baiting: Mediale Aufmerksamkeitsgenerierung während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs 2016. Bachelorarbeit. Hochschule Magdeburg-Stendal 2017