„Das geht auch wieder vorbei.“

Wenn Kinder trauern, fehlen Erwachsenen oft die richtigen Worte

Tilmann P. Gangloff im Gespräch mit Ralph Caspers

Fast jeder Erwachsene kennt diese Situation: Man trifft einen Menschen, der einen nahen Angehörigen verloren hat, und weiß nicht, was man sagen soll. Noch schwieriger ist es, Kindern zu erklären, dass jemand aus der Familie gestorben ist. Ralph Caspers hat für solche Situationen einen ausgezeichneten Ratgeber geschrieben. Der Titel ist eine typische Kinderfrage: Wenn Papa jetzt tot ist, muss er dann sterben? Darin warnt der TV-Moderator Eltern u.a. davor, nicht ehrlich zu ihren Kindern zu sein.

Printausgabe tv diskurs: 24. Jg., 3/2020 (Ausgabe 93), S. 14-16

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Herr Caspers, wer Sie nur als Moderator aus dem Kinderfernsehen kennt, wird sich vielleicht fragen: Warum hat sich dieser lustige Mann mit so einem traurigen Thema wie dem Tod befasst?

Dieses Thema ist mir gar nicht so fremd, wie man vielleicht denkt. Vor einiger Zeit hat mich der Kölner Verein für Trauerbegleitung TrauBe gefragt, ob ich sein Botschafter werden möchte. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man jemanden verliert: Als mein Vater gestorben ist, war ich 15 und musste damit mehr oder weniger allein klarkommen.

Was ist Ihre Aufgabe als Botschafter?

Ich nutze meine Bekanntheit, um darauf aufmerksam zu machen, dass dieser Verein in Situationen hilft, in denen man sich leicht überfordert fühlt. Eine ähnliche Funktion übe ich auch beim Deutschen Kinderhospizverein aus.

Und wie kam es zu dem Buch?

Während ich mich noch über die Arbeit von TrauBe informierte, erhielt ich eine Anfrage von Bastei Lübbe, ob ich einen Ratgeber zum Thema „Trauer bei Kindern und Jugendlichen“ schreiben wollte. Auch da musste ich nicht lange überlegen. Jeder Erwachsene kennt die Situation: Man will jemanden trösten, findet aber nicht die richtigen Worte.

Warum tun sich viele Eltern so schwer, über das Sterben zu sprechen? Der Tod wird ja regelrecht totgeschwiegen.

Wenn ich über den Tod spreche, denke ich unweigerlich auch darüber nach, was mit mir selbst passiert, wenn ich sterbe; und was aus den geliebten Menschen wird, die ich hinterlasse. Es macht traurig, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, und Trauer ist eine Emotion, die die meisten Menschen lieber meiden, denn sie ist unbekanntes Terrain. Dabei lassen sie aber außer Acht, dass nach der Trauer die schönen Dinge im Leben noch schöner sind, weil man auch eine andere Seite kennengelernt hat. Dieser ganze Komplex ist jedoch ein derart existenzielles Thema, dass die meisten Erwachsenen Angst haben, sich damit auseinanderzusetzen. Dabei ist es wichtig, sich darauf einzulassen, denn nur dann wird man erkennen: Das geht auch wieder vorbei.

Sind Kinder bei solchen Fragen unbekümmerter?

Kinder gehen jedenfalls voll in die Trauer rein, wenn z.B. ein Haustier gestorben ist. Sie können schon in Tränen ausbrechen, wenn sie nur darüber nachdenken, dass der Hund oder die Katze eines Tages nicht mehr da sein wird. Kinder haben viel weniger Filter im Kopf und sind sehr gradlinig. Andererseits kann es auf Erwachsene auch äußerst befremdlich wirken, wenn Kinder nicht trauern wollen, weil sie gerade ganz andere Dinge im Kopf haben.

Erwachsene bekommen ein schlechtes Gewissen, wenn sie merken, dass sie eigentlich trauern sollten.

Dabei ist es völlig okay, nicht bei jedem Todesfall sofort tiefe Trauer zu empfinden. Oft kommt die Trauer auch erst später, weil man sich erst mal um die Beerdigung kümmern muss und gar keine Zeit zum Trauern hat.

Ihr Buch ist sehr lebensnah und pragmatisch, inklusive eines Kapitels, in dem Sie sehr konkret den Prozess der Verwesung beschreiben. Musste das sein?

Ja, das musste sein. Kinder sind neugierig, man muss damit rechnen, dass sie wissen wollen, was mit dem Leichnam geschieht, und damit man das zumindest ansatzweise schildern kann, habe ich auch die Verwesung beschrieben. Wie detailliert man das weitergibt, muss jeder selbst entscheiden, aber es ist wichtig, dass man den Prozess objektiv erklären kann. Es gibt auch eine sehr konkrete Alternative: Man kann sich mit den Kindern beim Waldspaziergang anschauen, was mit einem toten Tier passiert. Natürlich ist es ein bisschen eklig, die Fliegenlarven zu beobachten, aber auf diese Weise wird der natürliche Kreislauf sichtbar: Der Tod eines Lebewesens ist die Lebensgrundlage für andere Lebewesen. Diese Erkenntnis hat doch auch etwas sehr Beruhigendes.

Sie verwenden in Ihrem Buch einige Wörter, die bestimmte Phänomene perfekt veranschaulichen, beispielsweise „Pfützentrauer“.

Das ist ein Begriff aus der Trauerbegleitung. Kinder springen in die Trauer wie in eine Pfütze und können sich schon einen Moment später mit etwas völlig anderem beschäftigen. Für Erwachsene ist das oft irritierend.

Sehr schön ist auch das Bild von Hand und Handschuh.

Auch das habe ich mir von einer Trauerbegleiterin geliehen, die Kindern damit die Frage nach der Seele beantworten wollte: Der Körper ist der Handschuh, also eine Hülle, aus der sich die Seele beim Tod eines Menschen zurückzieht.

Viele Erwachsene schauen sich Wissen macht Ah! auch ohne Kinder an, weil sie Ihre Ironie schätzen. Mussten Sie sich sehr zurückhalten?

An ein, zwei Stellen schimmert sie schon durch. Vor dem Schreiben habe ich mir überlegt: Was für eine Art Buch würde ich selbst gern lesen? Natürlich hätte ich den Ratgeber auch unterhaltsam verfassen können; oder sehr emotional, sodass jeder Leser zu Tränen gerührt wäre. Ich habe mich dann für einen praktikablen Stil entschieden, um die Trauernden an die Hand nehmen zu können. Mein üblicher flapsiger Tonfall wäre deplatziert gewesen und hätte auch zu sehr vom Inhalt abgelenkt.

Wie gehen Kinder eigentlich mit Ihrer Ironie um? Gerade jüngere kapieren das doch oft nicht.

Den Satz höre ich regelmäßig. Natürlich verstehen nicht alle Kinder Ironie, aber das gilt auch für viele Erwachsene. Kinder holen sich aus meinen Moderationen raus, was sie verstehen, alles andere ignorieren sie.

Was ist der größte Fehler, den Eltern im Zusammenhang mit einem Trauerfall begehen können?

Der größte Fehler ist Unehrlichkeit. Ganz schlimm ist die Formulierung, jemand habe sich auf eine lange Reise begeben, denn auch von den längsten Reisen kommt man in der Regel irgendwann zurück. Eines Tages wird den Kindern klar: Das war eine Reise ohne Wiederkehr, und dann haben sie nicht nur den Verstorbenen verloren, sondern auch das Vertrauen in die Menschen, die noch da sind. Viele Eltern wollen auf den richtigen Zeitpunkt warten, um ihre Kinder über einen Todesfall zu informieren, aber es gibt keinen richtigen Zeitpunkt. Schlechte Nachrichten werden nicht besser, wenn man sie eine Weile gären lässt, also sollte man am besten sofort mit der Wahrheit herausrücken.

Sollten Eltern diese Ehrlichkeit auch bei anderen bedrückenden Themen zeigen, also bei Katastrophen oder Terroranschlägen?

Ehrlichkeit ist immer gut. Und eine klare, direkte Sprache wählen, ohne die Kinder mit Informationen zu überfrachten. Wenn ein Kind fragt: „Was ist passiert?“, dann kann man sagen: „Oma ist gestorben.“ Man muss nicht direkt die komplette Geschichte erzählen von den ersten Krämpfen bis zum letzten Atemzug. Wenn ein Kind mehr wissen will, dann wird es nachfragen.

Wie soll man sich verhalten, wenn einem vor lauter Trauer die richtigen Worte fehlen?

Niemand würde sich eine Blöße geben, wenn er so etwas zugibt, aber viele Menschen flüchten sich lieber in Floskeln, z.B. „Herzliches Beileid“, was fast wie ein Glückwunsch klingt; das wirkt dann oft herzlos und kalt. Wenn sie sich hinterfragen, wird ihnen bestimmt klar: Wären sie selbst in der Situation des Trauernden, würden sie so etwas nicht gern hören wollen.

Im Nachwort beschreiben Sie sich als den Mann, der im Fernsehen Furzwitze macht und den Kindern erzählt, warum Popeln gut ist. Viele Zuschauer von Wissen macht Ah! wissen vermutlich gar nicht, dass Sie auch an den Drehbüchern beteiligt sind. Sehen Sie sich selbst eher als Journalist oder als Moderator?

Ich trenne das für mich gar nicht. Ich beschäftige mich einfach gern mit Themen, die mich interessieren, und gehe dabei, wie ich gestehen muss, sehr egozentrisch vor. Auch die TV-Sendungen gestalte ich in erster Linie so, wie ich sie mir gern selbst anschauen würde, und habe schlicht das Glück, damit offenbar auch den Geschmack vieler Zuschauer zu treffen. Bei dem Buch bin ich genauso vorgegangen.

Man glaubt das kaum, aber Sie werden in zwei Jahren 50. Ihr Kollege Armin Maiwald aus der Sendung mit der Maus ist 80 und macht immer noch Kinderfernsehen. Halten Sie noch 30 Jahre durch?

Ich mache Kinderfernsehen in erster Linie, weil es mir großen Spaß bereitet. Wenn das irgendwann nicht mehr der Fall sein sollte, werde ich sofort damit aufhören. Und natürlich ist auch nicht auszuschließen, dass ein neuer Programmdirektor auf die Idee kommt, dass Sendungen für Kinder nur von Menschen unter 30 moderiert werden dürfen. Die Geschichte des Fernsehens hat immer wieder bewiesen, wie flüchtig alles ist. Was heute wie in Stein gemeißelt wirkt, kann morgen schon nichts mehr gelten. Wenn man sich darüber im Klaren ist, kann man mit solchen Unwägbarkeiten gelassen umgehen.

Moderieren Sie Quarks mit einer anderen Haltung als Wissen macht Ah!?

Nein, ich mache keine Unterschiede zwischen Kinder- und Erwachsenenfernsehen. Ich bin immer ich, und deshalb sind Quarks, Wissen macht Ah! oder Die Sendung mit der Maus für mich bloß unterschiedliche Spielarten von „Ralph-Fernsehen“. Ich bin mein erster Zuschauer.
 

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Ralph Caspers ist Journalist und TV-Moderator, vor allem „Die Sendung mit der Maus“, „Wissen macht Ah!“ und die Wissenschaftssendung „Quarks“.

Tilmann P. Gangloff ist freiberuflicher Medienfachjournalist.