Bundeswe(h)rbung: Krieg als Entertainment für Jugendliche?

Laura Keller

Laura Keller studierte Kultur- und Bildungswissenschaften sowie Kinder- und Jugendmedien in Lüneburg und Erfurt. Sie arbeitet als freiberufliche Medienpädagogin.

Bereits zwei erfolgreiche Formate kann die Bundeswehr auf ihrem YouTube-Kanal vorweisen: Die Rekruten und Mali. Videos im Stil des Reality-TV, gefilmt mit Handkameras und Selfie-Sticks. Die Bundeswehr will junge Interessentinnen und Interessenten mithilfe neuer Medien für sich gewinnen. Stets begleitet von der Kritik, bei der Rekrutierung den Alltag und die Einsätze der Soldatinnen und Soldaten zu beschönigen und Krieg zu verharmlosen.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 1/2018 (Ausgabe 83), S. 74-75

Vollständiger Beitrag als:

Die Bundeswehr hat seit dem Ende der Wehrpflicht Nachwuchssorgen. Doch wo ist die Jugend, wenn schon nicht freiwillig am Dienst an der Waffe? Richtig, im Internet. Vornehmlich auf der beliebten Videoplattform YouTube. Was läge also näher, als die Werbung der Bundeswehr dorthin zu verlagern?
 

Die Bundeswehr exklusiv im Netz

Im Bundeswehr-Exclusive-YouTube-Kanal finden sich mittlerweile zwei Formate: Die Rekruten begleitete bereits 2016 zwölf junge Soldatinnen und Soldaten in über 60 jeweils fünf- bis zehnminütigen Episoden bei ihrer Grundausbildung am Marinestandort Parow. Mit durchschnittlich mehreren 100.000 Abrufen pro Video entpuppte sich das Format als Überraschungserfolg. Die Rekruten sollten auch den Sprung ins Fernsehen schaffen, RTL II hatte zunächst Interesse bekundet. Nachdem kein geeigneter Sendeplatz gefunden werden konnte, steht die Ausstrahlung weiterhin aus (vgl. Dirscherl 2017). Das Nachfolgeformat Mali zeigt in über 40 Episoden den Alltag acht deutscher Berufssoldatinnen und -soldaten vor, während und nach ihrem Auslandseinsatz. Die Serie konnte an den Erfolg des Vorgängers zwar nicht anknüpfen, kann jedoch auch rege Videozugriffe vorweisen.

Beide Formate kennzeichnet der Realityshow-Stil. Keine Hochglanzaufnahmen, sondern wackelige Bilder von Handkameras, unterlegt mit dramatischer Musik. Videos in der vermeintlich klassischen YouTube-Ästhetik, wenn auch mit Produktionskosten von jeweils knapp zwei Mio. Euro. Mit der passenden Social-Media-Strategie auf allen weiteren gängigen jugendaffinen Plattformen – sei es Instagram, Snapchat oder ein Chatbot bei Facebook Messenger. Mali bietet beispielsweise die Möglichkeit, den Einsatz – wenn aus Sicherheitsgründen zwar nicht live – immerhin aber in Echtzeit zu verfolgen. Die Werbekampagnen für beide Formate kosteten die Bundeswehr insgesamt 10,7 Mio. Euro (vgl. Wiegold 2017).

Die Zielgruppe? Schulabgängerinnen und -abgänger sollen so auf ihre Karrierechancen bei der Bundeswehr aufmerksam gemacht werden. Doch Klicks allein sorgen nicht zwangsläufig für neue Soldatinnen und Soldaten. Die gestiegenen Bewerbungszahlen und Aufrufe des Karriereportals führt die Bundeswehr jedoch auf den Erfolg der YouTube-Formate zurück. Die Zahl junger Soldatinnen und Soldaten – darunter auch zahlreiche Minderjährige – steigt. Da man aber mit der Wirtschaft um Schulabgängerinnen und -abgänger konkurriere, müsse man auch Minderjährige rekrutieren können (vgl. Peters/Endt 2018).
 


Krieg bleibt Krieg – Werbekampagne bleibt Werbekampagne

„Es ist alles nicht so, wie man es sich vorstellt, es ist schlimmer. Bist du bereit?“, heißt es im Trailer zu Mali. Diese und weitere Aussagen könnten besorgniserregend wirken, sind aber mit schnellen Schnitten und stimmungsvoller Musik wie das Versprechen eines Action-Blockbusters inszeniert. Inhaltlich dominieren jedoch keine Kampfbilder, sondern alltägliche Tätigkeiten der Soldatinnen und Soldaten in Episoden wie Warten, Warten, Warten oder Dieselkrise im Camp. Möglichst authentisch möchte man den mehrheitlich jungen Zuschauerinnen und Zuschauern den Bundeswehralltag dennoch präsentieren. Authentisch bedeutet zu Werbezwecken, dass bei der Bundeswehr körperliche Anstrengung auf Langeweile trifft, und nicht, dass der Kampf gegen Dschihadisten in Mali tödlich enden kann.

Auch in der Episode Gefahr für Leib und Seele – deren Titel ernste Themen andeutet – verbleibt beispielsweise der Eindruck, dass die zentralen Belastungen vor Ort ausschließlich Hitze, Heimweh und Hautprobleme heißen, aber das, verrät der Militärpfarrer den Zuschauerinnen und Zuschauern, „lässt sogar Atheisten beten“. Während der sechswöchigen Ausstrahlung, die die Zuschauerinnen und Zuschauer mit den Soldatinnen und Soldaten auf dem heimischen Bildschirm verbringen, mag der soldatische Alltag auch genau so aussehen, doch werden hier der bis zu 23 Monate dauernde freiwillige Wehrdienst und die mehrjährige Verpflichtung für den Dienst beim Militär beworben.

Die Serie ist Teil einer offensiven Werbekampagne der Bundeswehr. Dass Krieg hier nicht in all seinen Facetten dargestellt wird und nicht zwangsläufig die Gefährdungsrisiken der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz fokussiert werden, ist selbstredend. Mali schlägt jedoch ernstere Töne an als Die Rekruten. Das Vorgängerformat geriet explizit in die Kritik, nachdem Themen wie Tod und Auslandseinsatz kaum Platz fanden, jedoch ebenso zum Alltag der Soldatinnen und Soldaten gehören (vgl. Lücking 2017). In einer der letzten Folgen von Mali wird auch der Absturz des Bundeswehr-Helikopters im Juli 2017, bei dem zwei Soldaten starben, thematisiert. In ihrer Inszenierung und Optik bricht die Episode – die mehrheitlich aus Interviewsequenzen mit den Soldatinnen und Soldaten sowie Eindrücken der Trauerzeremonie besteht – mit den weiteren Folgen der Serie, die oftmals eher ein Klassenfahrt-Feeling verbreiten.

Mit dem Ende der Wehrpflicht schwindet nach und nach jedoch nicht nur das Interesse, sondern auch das Wissen über die Aufgaben der Soldatinnen und Soldaten – auch hier möchten die YouTube-Formate gegensteuern. Informationen über berufliche Möglichkeiten bei der Bundeswehr sammelten Jugendliche bereits vor zehn Jahren verstärkt über TV-Reportagen, den medialen Vorläufern der heutigen YouTube-Formate (vgl. Bulmahn 2007, S. 49).
 


Verschwommene Grenzen zwischen Rekrutierung und Information

Das Interesse von Jugendlichen am Weltgeschehen ist weiterhin hoch, sie informieren sich häufig über das Internet und YouTube ist beliebtestes Internethobby (vgl. MPFS 2017). Sie kategorisieren als Mediennutzerinnen und ‑nutzer die Angebote ohnehin selbst als Informations- oder Unterhaltungsquelle (vgl. Klaus/Lünenborg 2002).

Die Angebote der Bundeswehr auf YouTube können aber auch als außerschulische Lernorte politischer Bildung verstanden und jenseits ihrer Rekrutierungsabsichten hinterfragt werden. Im Fokus stehen die Arbeitsabläufe und der Alltag der Soldatinnen und Soldaten vor Ort, ein Video mit Hintergrundinformationen zu den Gründen des Einsatzes in Mali hat durchschnittlich eher wenige Aufrufe. Wer sich hierfür interessiert, muss sich mit der Aussage zufriedengeben: „Es ist einer der gefährlichsten Einsätze der Vereinten Nationen, wenn nicht sogar der gefährlichste überhaupt. Aber es ist wichtig, dass die Bundeswehr dort ist.“ Alternativ werden der „Krieg gegen Terror“ und der „Kampf gegen Schleuser“ als Erklärungsmuster für die komplexe Friedensmission der Vereinten Nationen geboten. Die Bundeswehr präsentiert im Rahmen ihrer Formate Denk- und Deutungsmuster, die das Militärische als Selbstverständlichkeit darstellen und somit zum gesellschaftlichen Diskurs über Krieg beitragen. Die Infragestellung einer Notwendigkeit von Militäreinsätzen lassen die Formate selbstverständlich nicht zu.
 

Literatur:

Bulmahn, T.: Interesse Jugendlicher an einer beruflichen Perspektive bei der Bundeswehr. Strausberg 2007
Dirscherl, H.-C.: RTL II zeigt Bundeswehr-Youtube-Hit „Die Rekruten“ doch nicht. In: PC-Welt, 22.08.2017 (letzter Zugriff: 15.12.2017)
Klaus, E./Lünenborg, M.: Journalismus: Fakten, die unterhalten – Fiktionen, die Wirklichkeiten schaffen. In: I. Neverla/E. Grittmann/M. Pater (Hrsg.): Grundlagentexte zur Journalistik. Konstanz 2002, S. 100-113
Lücking, D.: Bundeswehr-Imagekampagne auf Youtube. In: Tagesspiegel online, 13.11.2016 (letzter Zugriff: 09.01.2018)
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (MPFS): JIM-Studie 2017. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang 12 bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart 2017
Peters, P./Endt, C.: Mit 17 Jahren in die Kaserne. In: Süddeutsche Zeitung online, 09.01.2018 (letzter Zugriff: 09.01.2018)
Wiegold, T.: Werde Soldat, yo!In: Zeit online, 25.10.2017 (letzter Zugriff: 12.12.2017)