Bildnisse eines Bösewichts

Die Darstellung des „Joker“ im Hollywoodkino

Werner C. Barg

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Dr. Werner C. Barg ist Autor, Produzent und Dramaturg. An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) vertritt er die Professur „Audiovisuelle Medien“.

Die Figur „The Joker“ gehört neben Ernst Stavro Blofeld, dem Gegenspieler von James Bond, zu den schillerndsten und bekanntesten Figuren des Bösen im fiktionalen Universum des populären Kinos. Namhafte Hollywoodstars wie Jack Nicholson oder Heath Ledger haben den Joker verkörpert. In welchen gesellschaftlichen, moralischen und genrespezifischen Kontexten fanden diese Verkörperungen statt? Wie hat sich das Bild des Bösewichts im populären Film gewandelt? Diesen Fragen geht der folgende Beitrag vornehmlich anhand der Batman-Comicverfilmungen nach.

Online seit 18.06.2020: https://mediendiskurs.online/beitrag/bildnisse-eines-boesewichts/

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Ursprung der Joker-Figur

Die Bösewichte waren im Hollywoodkino schon immer für schillernde Figuren und grandiose Schauspielerleistungen gut und preisverdächtig. Seien es die von Gert Fröbe über Klaus Maria Brandauer bis Javier Bardem und Christoph Waltz brillant besetzten Gegenspieler von James Bond, Al Pacino als „Big Boy“ Caprice in Dick Tracy (USA 1990) oder eben Batmans größter Gegner, der durch und durch böse Joker in den Batman-Verfilmungen

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, die sich auf die Comicstrips von Bob Kane gründen. Der Zeichner und Autor entwarf Batman als zweite Superhelden-Figur neben Superman ab 1939 für den Detective Comics (DC)-Verlag. Ab 1940 tauchte in den Batman-Strips auch regelmäßig „The Joker“ als Superverbrecher und Gegenspieler von Batman auf.

Batman wie auch The Joker sind durch Figuren aus US-amerikanischen Genrefilmen der Stummfilmära inspiriert: Batman durch Das Zeichen des Zorro (The Mark of Zorro, USA 1920) mit Douglas Fairbanks sen., und The Joker liegt der Charakter Gwynplaine zugrunde, den Conrad Veidt2 in Der Mann, der lacht (The Man Who Laughs, USA 1928) verkörperte, eine von Paul Leni inszenierte Verfilmung des Romans L’homme qui rit von Victor Hugo. Der Hauptfigur der Hugo-Geschichte, die im ausgehenden 17. Jahrhundert spielt, wird aufgrund einer Rache des Königs von einem Arzt auf brutale Weise ein immerwährendes Lachen ins Gesicht geschnitten. Die fürchterliche Entstellung der Figur bildet im Film wie im Roman die Grundlage für eine melodramatische Liebesgeschichte, durch die der Produzent Carl Laemmle an die Kinoerfolge der Universal Pictures mit ähnlichen melodramatischen Liebesfilmen wie Der Glöckner von Notre Dame (The Hunchback of Notre Dame, USA 1923) und Das Phantom der Oper (The Phantom of the Opera, USA 1925) anknüpfen wollte.

In Kanes Comicstrips wird aus der tragischen Figur des Gwynplaine nun aber von Anbeginn an ein furchteinflößender Bösewicht und Superverbrecher. Die körperliche Entstellung hat ihn psychisch krank gemacht. Dem Mythos des traurigen Clowns fügt die Figur des Joker das Böse hinter der ewig grinsenden Fratze des Spaßmachers hinzu – ein Motiv, das auch in der modernen Horrorliteratur und im Horrorfilm immer wieder aufgenommen wird, z. B. Stephen Kings Es (It, USA 1986 [Buch]/1990 [Film]). In der Ausgabe DC #168 von 1951 wird erstmals die Vorgeschichte des Joker im Batman-Comic erzählt und das entstellte Aussehen des Joker auf einen Chemieunfall zurückgeführt.
 

1966: „Teuflischer Verbrecherclown“

Aufgrund der Erfolge der DC-Comics wurde die Batman-Story nach dem Zweiten Weltkrieg schnell filmisch adaptiert. Der ersten Fernsehserie Batman and Robin (USA 1949) folgte in den Jahren 1966 bis 1968 Batman, in der auch die Joker-Figur, dargestellt von Cesar Romero, erstmals auf dem Bildschirm zu sehen war. 1966 betrat The Joker, wiederum in der Verkörperung durch Cesar Romero, auch die Kinoleinwand. In der Actionkomödie Batman hält die Welt in Atem (Batman: The Movie, USA 1966) gehört The Joker zu einem Vierergespann von psychopathischen Gaunern, die Gotham City, den fiktiven Spielort der Batman-Saga, unsicher machen, den Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen unter ihre Kontrolle bringen und dadurch die Weltherrschaft erringen wollen. Der Joker wird zwar von der Polizei als „teuflischer Verbrecherclown“ bezeichnet, doch letztlich bleiben seine Späße ebenso harmlos und grotesk übersteigert wie die der anderen Gegenspieler Batmans, der aufgeblasene Pinguin, der fahrige Riddler und die verschlagene Catwoman.
 


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Auch die Batman-Figur selbst wird in Leslie H. Martinsons Komödie nicht so ganz ernst genommen, was z. B. der minutenlange Kampf Batmans mit einem Haifisch verdeutlicht, der offensichtlich aus Plastik ist. Solche Effekte lassen die erste Kinoverfilmung aus heutiger Sicht als wahren Trash erscheinen. Einzig in der Figur des Riddler, dargestellt von Frank Gorshin, ist noch das Echo jener Verkörperung psychopathischer Gangsterfiguren im klassischen Genre etwa durch James Cagney in Der öffentliche Feind (The Public Enemy, USA 1931) und Maschinenpistolen (White Heat, USA 1949) oder Edward J. Robinson in Der kleine Caesar (Little Cäsar, USA 1931) spürbar.

Der in die Filmhandlung einführende „Dank an alle Kämpfer gegen das Verbrechen in der ganzen Welt“ stellt  gleichfalls den Bezug zum klassischen Gangsterfilm der 1930er-Jahre her, in der häufig Off-Kommentare mit moralischem Appellcharakter die Tatsache relativeren sollten, dass in der folgenden Filmhandlung Gangster als durchaus ambivalente Heldenfiguren im Mittelpunkt stehen würden. In Martinsons Actionkomödie wird der moralische Anspruch aber sogleich ironisch konterkariert. Schon im nächsten Satz des Kommentars wird darauf hingewiesen, dass der Film besonders „Freunde des Abenteuers und der Fantasy“ ansprechen dürfte. Technische Gimmicks wie das „Batmobil“, ein schwarzer Straßenkreuzer mit Düsenantrieb, oder die Verwendung von Phantasiemaschinen wie ein „Superenergie-Umkehr-Polarisationsgerät“ unterstreichen, dass dieser erste Batman-Film getrost in die Kategorie jener klassischen Hollywoodunterhaltung einzuordnen ist, die als Zielgruppe besonders technikaffine Jugendliche ansprechen soll. Um ihnen den eskapistischen Kinospaß zu garantieren, dürfen auch The Joker und die anderen Superschurken nicht als ernst zu nehmende, Horror, Angst und Gefahr verbreitende Bösewichte präsentiert werden, sondern bleiben letztlich Witzfiguren, die im hohen Pathos ihres Spiels die Charaktere der Gangsterfiguren ad absurdum führen.
 

1989: „Der erste Mordkünstler der Welt“

In Batman (USA 1989), Tim Burtons Neustart der Batman-Legende im Kino, ermöglicht die Joker-Figur Hollywoodstar Jack Nicholson einen legendären Kinoauftritt, allerdings in einer gänzlich anderen Atmosphäre als Romero im ersten Batman-Film. Die cleane, in hellen Technicolor-Farben präsentierte Welt des Films von 1966, die amerikanische Prosperität und Wirtschaftswunder atmete, ist einer düsteren Szenerie gewichen, in der Gotham City als bedrohlicher Großstadt-Moloch erscheint, bevölkert von armseligen Straßengangstern, gegen die Batman alias Bruce Wayne (Michael Keaton) Nacht für Nacht zu Felde zieht, nachdem vermeintlich solche Straßenräuber die Eltern des jungen Bruce getötet hatten.

Das Production-Design von Burtons Batman-Neuauflage reflektiert augenscheinlich die US-Gesellschaft am Ende der neoliberalen Reagan-Ära. Nach Öl- und Wirtschaftskrise und der zunehmenden Deindustrialisierung der USA zerfällt die Gesellschaft immer stärker in Arm und Reich. Die US-Middle-Class wird abgewickelt (vgl. Packer 2014).

In diesem Kontext erhält auch Jack Napier (Jack Nicholson), der zum Joker wird, in Burtons Film seine Figurenlegende: Aus zerrütteten Familienverhältnissen stammend, zeigt der junge Jack schon im Alter von 15 Jahren heftige Gemütsschwankungen, ist höchst labil, zugleich hochintelligent. Er wird als besonders affin für Technik, Chemie und Kunst beschrieben.

Napier ist die rechte Hand des Gangsterbosses Carl Grissom (Jack Palance). Dieser lockt Napier in eine Falle, um sich wegen dessen Affäre mit seiner Freundin Alicia (Jerry Hall) zu rächen. Grissom gibt einem Mittelsmann, dem korrupten Polizisten Eckhardt (William Hootkins) einen Tipp, so dass die Polizei und Batman Napiers Überfall auf eine Chemiefabrik vereiteln können. Durch Batmans Hand stürzt Napier in einen Bottich voller Chemikalien. Sein Leben kann zwar in einer Operation gerettet werden, aber er bleibt fürchterlich entstellt. Der Anblick seines grauenhaften Antlitzes macht Napier wahnsinnig. Fortan nennt er sich Joker, wird zum Massenmörder und begleitet seine Taten nunmehr stets mit einem irrsinnigen Lachen, das zu seinem bizarren Markenzeichen wird.

In seiner Affinität für Kunst steigert er sich in die Vorstellung hinein, der Avantgardist einer „neuen Ästhetik“ zu sein, einer Kunstrichtung, in der alles Hässliche zur Geltung gebracht und alles Schöne zerstört wird. Nachdem er, um Aufmerksamkeit zu erregen, das Kunstmuseum von Gotham City überfallen hat, das Aufsichtspersonal hat töten lassen und mit seiner Gang einen Großteil der Gemälde und Skulpturen zerstört oder übermalt hat, trifft er auf die Fotografin Vicki Vale (Kim Basinger), die als Freundin des Millionärs Bruce Wayne in seinen Fokus geraten ist. Der Joker erklärt ihr, dass er tun würde, wovon andere nur träumen. Er mache Kunst, bis jemand stirbt. So habe er seiner attraktiven Freundin Alicia das Gesicht verätzt, um ihr die Schönheit zu nehmen. Die Irrsinnstat gibt er gegenüber Vicky als große Kunst aus. Diese solle die Fotografin nunmehr an seiner Seite dokumentieren. Doch Vicky kann sich dem verrückten Gewalttäter entziehen, der schließlich im Blockbuster gemäßen Showdown von Batman besiegt werden kann.
 


The Joker wird in Burtons Batman-Variante erstmals als psychopathische Gangsterfigur eingeführt, wobei die Besetzung mit Jack Nicholson deutliche intertextuelle Bezüge zur Rollenbiografie des Hollywoodstars hat. Schon in Stanley Kubricks Stephen-King-Verfilmung Shining (USA 1980) verkörperte Nicholson eine psychopathische Hauptfigur, den Schriftsteller Jack Torrance. Dieser übernimmt mit seiner Familie einen Hausmeisterposten in einem, im Winter in den Bergen von Oregon leerstehenden Hotel, um an einem neuen Roman zu schreiben. Doch eine massive Schreibblockade treibt ihn in den Wahnsinn und lässt ihn schließlich einen aberwitzigen Amoklauf gegen Frau und Kind beginnen. Vor Jacks Gewaltausbruch findet seine Frau Wendy (Shelley Duvall) heraus, dass er immer wieder nur einen Satz in sein Manuskript geschrieben hat. Sie erkennt seinen Wahnsinn: „All work and no play makes Jack a dull boy“ („Alle Arbeit und kein Spiel machen Jack zu einem langweiligen Jungen“ bzw. im übertragenen Sinne: Alle Arbeit und kein Spiel machen Jack auch nicht glücklich.)

In Batman wird Nicholson als Joker nun am Beginn seines Wahnsinns in einer ganz ähnlichen Situation dargestellt: Er zerschneidet alte Fotos, mit deren Schnipsel die gesamte Wohnung übersät ist. Dazu murmelt er immer wieder: „So much to do und so little time“ („So viel zu tun und so wenig Zeit“) – ein Satz, der bezogen auf die dargestellte Handlung sinnlos erscheint, so wie die Handlung gegenüber der Wichtigkeit des Satzes nichtig wirkt. Auf diese Weise stellen Burton und die Drehbuchautoren Sam Hamm und Warren Skaaren in dieser Skizzierung des psychotischen Charakters des Bösewichts nicht nur Genrebezüge zum Horrorfilm her, sondern schaffen einen wichtigen Bezug zwischen dem Bösewicht und der Hauptfigur Batman.

Batmans Handeln ist für die Backstory Wound der Joker-Figur unmittelbar mitverantwortlich: den gestaltentstellenden Sturz des Bösewichts in den Chemikalientrog. Hierauf gründen sich die Rachegedanken des Joker gegenüber Batman, so wie Batman den Joker am Ende gleichfalls aus ganz persönlichen Rachemotiven zur Strecke bringen will: Jack Napier erweist sich als einer der Gangster, die für den Tod der Eltern seines Alter Egos Bruce Wayne verantwortlich sind. Der Burton-Film etabliert hier also das Grundmotiv einer schicksalhaften Verknüpfung von Superheld und Superschurke, ein Storydesign, das nicht nur für das weitere Storytelling der Batman-Saga bedeutsam sein wird, sondern als eine wesentliche Grundkonstellation des Erzählens mittlerweile in vielen Superheldengeschichten etabliert wurde. Ein weiteres Indiz für die absichtsvolle Verknüpfung von Gut und Böse in Batman ist auch die Auswahl des Rollennamens „Jack Napier“. Der Vorname mag sich auf den gleichnamigen Joker-Darsteller wie auf seine Rolle des wahnsinnigen Jack in Shining beziehen. Der Nachname findet sich wiederum in der Besetzungsliste des ersten Batman-Films (Batman hält die Welt in Atem): Alan Napier spielte hier den engen Vertrauten von Batman/Bruce Wayne, den Butler Alfred Pennyworth. So wie Bruce und Alfred zusammengehören wie Pech und Schwefel, so sind auch Superheld und Supergangster wie Feuer und Flamme.
 

2008: „Das Chaos ist fair“

Der Christopher-Nolan-Film The Dark Knight (USA 2008), in dem Heath Ledger den Joker als Gegenspieler von Batman (Christian Bale) verkörpert, radikalisiert dieses Konzept der Verbindung, ja Verwischung von Gut und Böse.

Der Joker sieht sich als Repräsentant einer Welt des Chaos. Er hat weder materielle Ziele noch verfolgt er ideelle Werte. Reichtum, Weltherrschaft oder neue Kunst? Alles egal! Regisseur Nolan und sein Bruder Jonathan, mit dem er zusammen das Drehbuch schrieb, kreieren eine Joker-Figur, die einer ehrlos gewordenen Gesellschaft, einer Welt ohne Mitleid, in der ohnehin schon eine Umwertung aller Werte stattfindet, das Chaos als Gesellschaftsprinzip entgegensetzen will. Für Nolans Joker bedeutet das Chaos Fairness, denn in chaotischen Zuständen zählt nur noch der Zufall. Im Angesicht des Chaos sind alle Menschen gleich, soziale Unterschiede und Privilegien lösen sich auf. So liefert die Figur dann auch nur noch Parodien einer sozialen Begründung seiner Herkunft und seiner Bösartigkeit. Der Joker erzählt immer neue Geschichten zur Erklärung der Verstümmlung seines Gesichts.
 


Mit solchen Botschaften antwortet das Konzept des Bösewichts in The Dark Knight auf eine US-Gesellschaft, in der ein Krieg (Irakkrieg 2003) aufgrund von bewusster Falsch- und Desinformation der Öffentlichkeit begonnen wurde. Lüge und Wahrheit scheinen ununterscheidbar geworden zu sein. Und auch die grausame Angleichung der Mittel im Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen dem brutal handelnden Batman und seiner Nemesis, dem mit großer, rational-irrationaler Zerstörungswut agierenden Joker, darf in The Dark Knight als Kommentar zur verheerenden Politik der Bush-Regierung gesehen werden, die sich im Kampf gegen den Terror in den 2000er-Jahren partiell ähnlich schmutziger Mittel bediente wie ihre Gegner.

Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund muss auch das Ende des Nolan-Films gesehen werden, in dem das Konzept des positiven „American Hero“ gänzlich aufgegeben wird: Da die Psychopathologie des Bösen auch andere psychisch labile Menschen, die einst auf der Seite des Guten standen, in ihren Bann zieht, nimmt schließlich Batman deren Missetaten auf sich, um zumindest in der Öffentlichkeit deren Ansehen als Helden im Kampf gegen das Verbrechen aufrechterhalten zu können. So etwa bei dem beliebten Bezirksstaatsanwalt Harvey Dent (Aaron Eckhart), der durch eine vom Joker herbeigeführte Explosion körperlich entstellt wird, daran gleichfalls verzweifelt und nun beginnt, Rachemorde an all jenen Personen zu verüben, von denen er glaubt, dass sie am Tod seiner bei der Joker-Aktion ums Leben gekommenen Freundin Rachel (Maggie Gyllenhaal) eine Mitschuld tragen.
 

2016: Der Bösewicht als Held

Der pessimistische Gedanke, dass sich immer mehr Menschen zum Bösen, zur Verlockung durch Anarchie und Chaos hingezogen fühlen könnten, ja, Bösewichte sogar selber zu neuen Heldenfiguren werden könnten, bestimmt die Handlung von Suicide Squad (USA 2016) in der Regie von David Ayer. Der Joker, diesmal verkörpert von Jared Leto, spielt in Ayers Film nur eine kleine Nebenrolle. Wichtiger ist die Psychiaterin Dr. Harleen Frances Quinzel (Margot Robbie). Sie verliebt sich in der Psychiatrie in ihren Patienten, verfällt völlig dem Joker, der sie missbraucht und quält. An seiner Seite wird sie zur Superverbrecherin Harley Quinn. Trotz toller Schauspielleistungen von Robbie und Leto bleiben ihre Figuren reines Klischee – im Grunde ähnlich wie im ersten Batman-Film von 1966. Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass Ayer in seiner eskapistischen, weitgehend humorfreien und bestenfalls zynischen Fantasygeschichte krass brutale Bösewichte entwirft, um mit ihnen als Hauptfiguren einen gewaltverherrlichenden Budenzauber im Kino zu entfachen.
 



2019: „Endlich das Gefühl, existent zu sein“

In seinem Film Joker (USA 2019) erzählt Regisseur Todd Phillips nun die Initiation und Entwicklung seiner Hauptfigur Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) zum bösen Titelhelden als psychologisches und soziales Drama.

Phillips’ Joker ist anfänglich einer unter Millionen einfacher Leute, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten müssen. Er schlägt sich als Clownsdarsteller durchs Leben. Von Straßengangs, aber auch von jenen, die einen besseren sozialen Status im Leben haben, wird Arthur erniedrigt und gedemütigt. Zu Hause erwartet ihn eine kranke Mutter, um die er sich anfangs fürsorglich kümmert. Zu einer Nachbarin hegt er eine stille Zuneigung, doch sie weist ihn zurück.

Als er in der U-Bahn zu einem zufälligen Opfer einer Pöbelei wird, wehrt er sich gewaltsam, tötet zwei seiner Peiniger im Affekt, den dritten aber mit Vorsatz. Arthur findet Gefallen am Morden, auch weil er es als eine Aufmerksamkeitsstrategie für die eigene Person erlebt. Seine Tötung der drei kaltherzigen Banker in der U-Bahn wird in Gotham City, wo Armut und Wirtschaftskrise herrschen, schnell als politische Tat verstanden. Immer mehr Menschen tragen Clownsmasken und solidarisieren sich mit dem U-Bahn-Täter. Arthur hat zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl, „gesehen“ zu werden.Durch eine Konfrontation mit seinem vermeintlichen Vater, dem Multimillionär Thomas Wayne (Brett Cullan) und Vater von Bruce, dem späteren Batman, kommt Arthur nun aber dem wahren Drama seines Lebens auf die Spur, das seine unter Wahnvorstellungen leidende Mutter (Frances Conroy) stets vor ihm verheimlicht hatte. Er tötet nun auch sie und findet dadurch im Morden eine Existenzberechtigung, die Tragik des eigenen Lebens durchzustehen und sich als Persönlichkeit neu zu erfinden – eine radikale Fortentwicklung der Motive der Joker-Figur, die in deren Genregeschichte angelegt sind.
 


Dass diese Dramaturgie einer negativen Coming-of-Age-Heldenreise der Hauptfigur auch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur in der US-Gesellschaft reflektiert, ist ebenso evident wie naheliegend. Phillips siedelt seine Joker-Geschichte zwar in den frühen 1980er-Jahren an, spiegelt aber in der Entwicklung seiner Joker-Figur eine Wutmentalität vieler Bürger von heute. Dieses Konzept geht auf, weil Joaquin Phoenix seine Antihelden-Figur mit Bravour voll melancholischem Körperspiel, Ironie und schwarzem Humor verkörpert. Phoenix wurde völlig zu Recht 2020 mit dem Oscar als „Bester Hauptdarsteller“ und vielen anderen Preisen ausgezeichnet. Sein grandioses Spiel, unterstützt durch hervorragende Schauspieler in Nebenrollen wie Robert de Niro und Frances Conroy, überspielt allerdings, dass Philips’ Story, soll sie als psychologisches und soziales Drama ernst genommen werden, letztlich sehr schlicht und klischeebeladen bleibt.
 

Anmerkungen:

1) Ausgenommen wurden bei der Betrachtung von „Joker-Auftritten“ für diesen Beitrag schon aus Platzgründen alle Batman-Animationsserien wie Batman – The Animated Series (GB 1992 – 1995) oder Batman of the Future (USA 1999 – 2001).

2) Der deutsche Schauspieler wurde durch seine Rolle als somnambuler Mörder Cesare im expressionistischen Filmklassiker Das Cabinet des Dr. Caligari (D 1920) weltberühmt.
 

Literatur:

Packer, George (2014): Die Abwicklung: Eine innere Geschichte des neuen Amerika. Frankfurt a.M. 2014