Bestreben nach internationalen Partnerschaften

Australien setzt auf Selbstregulierung und Kooperationen

Jens Dehn

Jens Dehn arbeitet als freiberuflicher Filmjournalist.

Im australischen Fernsehen und anderen Medien werden Aspekte des Jugendschutzes wie Altersklassifizierungen zum großen Teil durch Verhaltensregeln reguliert, die von Branchengruppen entwickelt wurden. Registriert und abgesegnet wird dieser Code of Practice jedoch durch Regierungsbehörden. Australien bietet somit eine Mischform aus Selbstkontrolle und staatlicher Aufsicht.

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 4/2018 (Ausgabe 86), S. 4-7

Vollständiger Beitrag als:

Ähnlich wie in Deutschland sind auch in Australien unterschiedliche Institutionen für die Regulierung des Jugendmedienschutzes in Fernsehen und Kino verantwortlich. Für frei empfangbare Fernsehsender gibt es einen Code of Practice, einen Verhaltenskodex, an den sich alle Sender binden. Er soll Zuschauern dabei behilflich sein, fundierte Entscheidungen über ihr eigenes Sehverhalten und das ihrer Kinder zu treffen, außerdem bietet er Optionen für die Aufnahme und Bearbeitung von Feedback und Zuschauerbeschwerden an.

Entwickelt wurde der Kodex von Free TV Australia, einer Branchenorganisation, die alle australischen kommerziellen, frei empfangbaren Fernsehsender vertritt. Free TV Australia stellt somit ein Selbstkontrollorgan dar, das allerdings mit der australischen Kommunikations- und Medienbehörde (Australian Communications and Media Authority [ACMA]), einer staatlichen Einrichtung, zusammenarbeitet. Unter ihrer Verantwortung werden Standards entwickelt, die sicherstellen sollen, dass Kinder Zugang zu ihrem Alter entsprechenden, hochwertigen Fernsehprogrammen haben, und die sie vor schädlichen Auswirkungen des Fernsehens schützen. Der Code of Practice sowie jede Modifizierung des Kodexes müssen vor der praktischen Umsetzung bei der ACMA registriert werden. „Diese Kombination von brancheneigenen Kodizes und regulatorischen Verpflichtungen wird üblicherweise als Koregulierung bezeichnet“, erklärt Bridget Fair, Geschäftsführerin bei Free TV.
 

Brancheneigene Kontrollinstanz unter staatlicher Aufsicht

Wenn Free TV einen Entwurf für einen neuen Verhaltenskodex ausgearbeitet hat, wird dieser zunächst für die Bevölkerung veröffentlicht. Die öffentliche Konsultation wird als ein wichtiger Schritt im Entwicklungsprozess angesehen. ACMA ermutigt daher alle Interessierten ausdrücklich, den Entwurf zu überprüfen und selbst Vorschläge bei Free TV einzureichen. Nachdem dieser Prozess abgeschlossen ist, reicht Free TV den Kodex zur Registrierung ein. Die ACMA muss als staatliche Behörde den Kodex registrieren, nachdem sich die Mitarbeiter vergewissert haben, dass alle Schutzmaßnahmen für die in ihrer Verantwortung liegenden Bereiche des Jugendschutzes geboten sind.

Die Altersklassifizierungen werden von der TV-Anstalt vorgenommen, die die jeweilige Sendung produziert. Sie werden vor Beginn einer jeden Sendung eingeblendet. Auch in Zeitungen, TV-Zeitschriften und den Onlineseiten der Sender gibt es Verweise auf die Klassifizierungen.
 

Altersklassifizierungen für Fernsehsendungen
 

C und P: stehen für Kinder (Children) unter 14 Jahren und im Vorschulalter (Preschool). Programme dieser Kategorie zeigen Inhalte, die für Kinder dieses Alters interessant sind, und stellen sie kindgerecht dar.
Die Fernsehsender sind dabei verpflichtet, jährlich mindestens 260 Stunden C-klassifizierte Programme zu übertragen und 130 Stunden für Vorschulkinder. Während der Sendungen greifen besondere Schutzmaßnahmen, so darf etwa kein Alkohol beworben werden. Bei P-klassifizierten Programmen sind Werbeblöcke gänzlich verboten. Sendungen für Vorschulkinder dürfen wochentags von 7:30 bis 16:30 Uhr laufen, C-klassifizierte Programme wochentags von 7:00 bis 8:30 Uhr sowie von 16:00 bis 20:30 Uhr, samstags, sonntags und während der Schulferien von 7:00 bis 20:30 Uhr. Montags bis freitags zwischen 8:30 und 16:00 Uhr dürfen diese Sendungen nicht ausgestrahlt werden, um schulpflichtige Kinder z.B. nicht zum Schwänzen zu verleiten.
G (General): Sendungen, die nicht unbedingt für Kinder konzipiert sind, aber auch keine für Kinder ungeeigneten Inhalte zeigen, sodass sie die Programme auch ohne Aufsicht ansehen können.
PG: steht für „Parental Guidance Recommended“, eine elterliche Beaufsichtigung wird also empfohlen. Themen aus dem Erwachsenenbereich können vorgestellt werden, aber ohne drastische Schilderungen.
M (Mature): wird nur Jugendlichen ab 15 Jahren empfohlen aufgrund des Inhalts oder der Art und Weise, wie das Thema behandelt bzw. dargestellt wird.
MA (Mature Audience): nur für Personen im Alter von 15 Jahren oder älter geeignet, aufgrund der Intensität und/oder Häufigkeit sexueller Darstellungen oder grober Sprache, Themen für Erwachsene oder Inhalte mit Drogenkonsum.


Zudem unterscheiden sich die Stufen teilweise in den Uhrzeiten, zu denen sie ausgestrahlt werden dürfen. Ein Film der Klassifizierung M darf z.B. nur zwischen 20:30 Uhr und 5:00 Uhr oder zwischen 12:00 und 15:00 Uhr an jedem Schultag ausgestrahlt werden, ein Film, der als MA klassifiziert wurde, darf dagegen nur zwischen 21:00 und 5:00 Uhr laufen. „Nach australischem Gesetz“, so Bridget Fair, „ist es Fernsehsendern verboten, Sendungen oder Filme zu übertragen, die nur für Erwachsene vorgesehen sind – es sei denn, sie wurden entsprechend modifiziert. Aus diesem Grund enthält unsere Bewertungsskala auch keine Stufen oberhalb der Klassifizierung MA.“
 

Klassifizierungsunterschiede zwischen Kino und TV in Australien
 


Kinobranche mit eigenen Vorgaben

Wo für das Fernsehen ACMA und Free TV Hand in Hand gehen, ist unabhängig davon für Kino, Videospiele und Video-on-Demand-Anbieter eine weitere staatliche Behörde zuständig, das Department of Communications and the Arts. Jeder Film, der eine kommerzielle Auswertung im Kino erhalten soll, muss bei einem Gremium, dem Classification Board, eingereicht werden. Das Board befindet sich administrativ zwar unter dem Dach des Departments, arbeitet aber unabhängig.

In der Regel sind es drei Mitglieder des Gremiums, die sich einen Film ansehen. Mitglied kann generell jeder werden, ein professioneller Hintergrund ist keine Voraussetzung, ganz im Gegenteil. Momentan befinden sich z.B. eine Friseurin und ein professioneller Skateboarder im Gremium. Landesweit sind Menschen aus allen Schichten aufgerufen, sich zu bewerben, um ein möglichst breites Spektrum der Bevölkerung zu repräsentieren. Die Institution hat zwei komplett ausgestattete Kinosäle, um die Filme auf der Leinwand unter den gleichen Bedingungen sehen zu können, unter denen sie auch später vor Publikum laufen sollen.
 

Jurassic World: Fallen Kingdom bekam in Australien die Altersklassifizierung M (Freigabe ab 15 Jahren), in Europa ist der Film überwiegend für Kinder ab 12 Jahren freigegeben (vgl. Filmfreigaben in tv diskurs 86).
 

Die Prüfer machen sich den ganzen Film über Notizen bezüglich sechs Klassifizierungskriterien: dem Maß an Gewalt, jeder Form von sexueller Aktivität, unangemessener Sprache, Drogenmissbrauch, Nacktheit sowie einem Kriterium, das breit gefächert als „Motive“ umschrieben wird und jede Form von sozialen Problemen, Kriminalität, Suizid, Tod, Rassismus, aber auch Übernatürliches wie Geister oder Zombies beinhalten kann. Am Ende des Films besprechen die drei Gremienmitglieder ihre Eindrücke und die Wirkung des Gesehenen in den jeweiligen Kategorien.

Danach wird der Film in eine von sechs Kategorien klassifiziert, angefangen bei G für eine sehr schwache, milde Auswirkung, über MA15+, die altersmäßig erste eingeschränkte Kategorie, bei der Jugendliche unter 15 Jahren den Film nur in Begleitung eines Erwachsenen sehen dürfen, bis zu R18+ für ein volljähriges Publikum. Dazu gibt es noch die Kategorie X18+, die pornografisches Material bezeichnet. 1995 wurde gesetzlich entschieden, dass das Board jede Form von Inhalt klassifizieren darf, es wird aber nichts zensiert. Es gibt jedoch noch ein zusätzliches, äußerst selten und außerhalb der regulären Skala verwendetes Label (CR) für extreme Inhalte, bei denen das Gremium der Meinung ist, dass das Gesehene verboten werden sollte.
 

Außergewöhnliche Wege im Umgang mit VoD

Einen ungewöhnlichen Weg schlägt das Board im Umgang mit Video-on-Demand-Streamingdiensten ein. Netflix als der internationale Platzhirsch kam vor etwa drei Jahren auf den australischen Markt. Sämtliche Inhalte, sowohl Filme als auch Serien und Shows, mussten dem Board vorgelegt werden, dessen Mitarbeiter Klassifizierungen vornahmen. „Das hat recht lange gedauert, weil Netflix nun mal einen großen Umfang an Content hat“, sagt Margaret Anderson, Direktorin des Classification Boards. „Und es hat Netflix auch ein wenig Geld gekostet, weil für jedes Programm, das klassifiziert wird, Gebühren anfallen.“ Da Netflix jedoch ein gewinnorientiertes Unternehmen ist und gerne Geld spart, wurde der australischen Regierung vorgeschlagen, ein eigenes Klassifizierungstool zu entwickeln.

Seit etwas mehr als einem Jahr beobachtet das Board nun Netflix und dessen Klassifizierungsprogramm. Eine Pilotphase endete im März 2018, momentan finalisiert das Board seine Analyse und einen Bericht über das Tool und wie gut oder nicht gut es funktioniert. „Wir warten zurzeit auf den Bericht, um dann mit der Regierung alles zu besprechen“, so Anderson. In der Zeit vom 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2018 traf Netflix über sein Tool mehr als 1.100 Klassifizierungsentscheidungen. Das Board hat all diese Entscheidungen überprüft und fand z.B., dass das Netflix-Programm bei einigen Stand-up-Comedians überklassifiziert hatte. „Amerikaner haben einen anderen Standard als Australier, was die Sprache betrifft“, erklärt Margaret Anderson hierzu:

Australier haben generell weniger Probleme mit Kraftausdrücken. Amerikaner sind zudem sehr prüde bei sexuellen Anspielungen, wohingegen Australier relaxter diesbezüglich sind. Netflix hatte vier Stand-up-Programme von Comedians mit R18+ klassifiziert, und wir fanden, dass das falsch ist. Wir können ohne Probleme diese Programme als MA15+ einordnen. Wir haben die Netflix-Entscheidungen daher überstimmt und heruntergesetzt.“

Die Zusammenarbeit zwischen dem Board und Netflix geht weiter. Andere VoD-Anbieter sind noch nicht an Bord, in Australien sind vor allem noch Stan, ein australisches Unternehmen, und Amazon auf dem Markt präsent. Bei diesen Firmen steht das Board noch am Anfang, ist jedoch sehr daran interessiert, ebenfalls Kooperationen hinsichtlich der Klassifizierung des Contents einzugehen. Daneben gibt es eine Zusammenarbeit mit dem US-Unternehmen V2Solutions, das viele Inhalte zur Klassifizierung einreicht, die nur bei YouTube Premium (früher YouTube Red) oder iTunes zu sehen sind.
 

Gemeinsame internationale Bewertungstools als Zukunftsmodell

„Wir befinden uns in einer sehr interessanten Zeit, was das Teilen von internationalen Medien angeht“, sagt Anderson. „Und ich glaube, dass es sehr viele Veränderungen geben wird, schon in den nächsten 18 bis 24 Monaten. Internationale Klassifikationstools werden stärker kommen und an Bedeutung gewinnen.“ Ein Beispiel, mit dem sie ihre These unterstreicht und das ihrer Aussage zufolge zumindest in Australien sehr gut funktioniert, ist das IARC(International Age Rating Coalition)-Tool im Bereich der Computerspiele. Jedes Jahr werden mit ihm Hunderttausende Computerspiele und Mobiltelefon-Apps klassifiziert. Die Australier benutzen IARC nicht, um Apps zu bewerten, aber sie benutzen es, um Spiele für das Smartphone zu klassifizieren. IARC basiert ebenfalls auf einem Fragebogen, kann die Auswertung aber individuell anpassen: Wer ein Spiel entwickelt und es nun via Google Play etc. verkaufen will, muss über IARC gehen.

Das Programm gibt eine Klassifizierung aus für alle teilnehmenden Länder. Die Liste derer umfasst u.a. einige europäische Staaten, Australien, Brasilien und Korea. Jedes einzelne dieser Länder hat viel Zeit aufgewendet und mit den Menschen zusammengearbeitet, die die Logik und die Algorithmen entwickeln, die sich hinter den Fragen verbergen. Das Ergebnis ist, dass nach Beantwortung aller Fragen ein Algorithmus eine Klassifizierung ausweist, die den Standards des jeweiligen Landes individuell entspricht. „Es hat für Australien rund eineinhalb Jahre gedauert, in denen mit den IT-Programmierern zusammengearbeitet wurde, um den für uns passenden Algorithmus zu entwickeln. Aber wir sind sehr zufrieden mit den Erfahrungen, die wir mit IARC gemacht haben.“

Für Anderson wird der nächste logische Schritt sein, ein digitales Bewertungstool wie IARC auch für die Filmklassifizierung zu entwickeln und so auch auf diesem Gebiet mehr und mehr Länder in Kooperationen zusammenzubringen. Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits gemacht, die Briten haben ein Onlinebewertungsprogramm entwickelt für sogenannten User Generated Content, das den Namen You rate it trägt. Es ist im Kern sehr simpel und basiert lediglich auf sechs Fragen. „Man kann das nicht einfach auf professionelle, kommerzielle Filme übertragen“, erklärt Anderson, „aber es ist ein guter Ausgangspunkt, um all die Hunderttausende Filme einordnen zu können, die jede Stunde von Usern auf der ganzen Welt ins Internet hochgeladen werden.“

Sie ist überzeugt, dass sich Klassifizierungen dieser Art immer mehr zu einem digitalen Prozess entwickeln werden, vor allem in westlichen Ländern. Wobei sie genau so sicher ist, dass es auch immer einen Bedarf an menschlichen Kontrolleuren geben wird, gerade bei heiklem Material:

Selbst wenn wir ein digitales Tool haben werden, das z.B. basierend auf 40 Fragen eine Klassifizierung ausspuckt, wird es trotzdem immer Filme geben, bei denen die Verleiher möchten, dass Menschen die Bewertung vornehmen. Zumindest, bis wir wirklich weit entwickelte künstliche Intelligenz bekommen, die genauso denkt wie wir. Denn Maschinen und Programme haben nun mal Probleme damit, Anspielungen und Andeutungen zu erkennen.