Aufschrei

Christina Heinen

Christina Heinen ist Hauptamtliche Vorsitzende in den Prüfausschüssen der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Drei Berliner Gymnasiasten haben eine App gegen Mobbing entwickelt: exclamo.

Printausgabe tv diskurs: 23. Jg., 2/2019 (Ausgabe 88), S. 15-15

Vollständiger Beitrag als:

Drei Berliner Gymnasiasten haben eine App gegen Mobbing1 entwickelt. Ihr Name: exclamo (lateinisch: exclamare = ausrufen, aufschreien). Die App-Entwickler stehen kurz vor dem Abitur am Canisius-Kolleg. Sie heißen Julius de Gruyter, Kai Lanz und Jan Wilhelm. Ausgangspunkt war für sie die Überlegung, dass Mobbing heute vorwiegend in und über soziale Medien und Messengerdienste stattfindet und dass digitale Probleme digitale Lösungen brauchen. Der Ratschlag: „Leg das Handy doch einfach mal weg“ hilft nicht weiter. Die digitale Dimension des Mobbings verschärft den Druck auf die Betroffenen, denn systematische Ausgrenzung und Abwertung beschränken sich so nicht mehr auf Situationen in der Schule, sondern durchdringen die gesamte Lebenswelt. Die Hemmschwelle, sich Hilfe zu suchen, wenn man gemobbt wird, ist für die Betroffenen noch immer viel zu hoch – die App soll es erleichtern, sich gegen systematische Anfeindungen durch Mitschüler zu wehren.

Die App soll jedem Schüler zur Verfügung stehen und die Möglichkeit bieten, anonym mit Lehrern oder Schulpsychologen in Kontakt zu treten und zu chatten. Die eigene Identität kann dann im Verlauf der Gespräche enthüllt werden – oder nicht. In einem Mobbingtagebuch können Schüler die Anfeindungen gegen sie dokumentieren. Die Entwickler hoffen, dass exclamo die Sensibilität für Mobbing erhöht, es den Betroffenen erleichtert, sich zu wehren, und Täter abschreckt.
 


Aktuell wird die App am Gymnasium der Entwickler getestet. Um sie flächendeckend zur Verfügung stellen zu können, müssten 3,00 Euro pro Schüler investiert werden – für Wartung, Serverkosten, technischen Support und Lizenzgebühren. Momentan läuft eine Crowdfunding-Aktion.

Die Sensibilität dafür, dass Mobbing kein Bagatelldelikt ist, sondern Opfer in ihrer Entwicklung massiv und unter Umständen dauerhaft beeinträchtigt, ist in den letzten Jahren gestiegen. Dennoch findet Mobbing – in Abhängigkeit vom Schulklima – vermutlich an nahezu jeder Schule statt, und nicht selten muss das Opfer die Schule wechseln, sodass die Täter sich in ihren aggressiven Strategien noch bestätigt sehen.

Prof. Dr. Mechthild Schäfer, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) zu Mobbing forscht, definiert Mobbing wie folgt: Bei Mobbing gehe es um „eine spezifische Form aggressiven Verhaltens und dessen Intention, nämlich die beabsichtigte und gezielte Viktimisierung physisch und/oder psychisch Schwächerer zur Aufwertung des sozialen Status des Aggressors bzw. der Aggressoren. Mobbing findet fast ausschließlich ‚in den kontrollfreien Räumen hierarchisch strukturierter Systeme‘ statt und ist originär ein kollektiver Prozess, der sich nicht in Dyaden zwischen einem Opfer und einem Täter erschöpft.“2

Entscheidend ist nach Mechthild Schäfer ein klares Bekenntnis der Schule gegen die Aggression der Täter. Wenn andere Schüler erleben, dass Mobbing nicht geächtet und sanktioniert wird (oder noch dadurch belohnt wird, dass das Opfer schließlich gehen muss), findet eine Desensibilisierung statt. Die Bereitschaft, Mobbing hinzunehmen, steigt. Insofern liegen die Entwickler von exclamo ganz richtig: Mit ihrer App geben sie den Opfern von Mobbing eine Stimme.
 

Anmerkungen:

1) exclamo. Abrufbar unter: https://exclamo.org/ (letzter Zugriff: 07.03.2019)

2) LMU: Mobbingforschung. Abrufbar unter: http://www.psy.lmu.de/mobbing/mobbing/index.html (letzter Zugriff: 07.03.2019)