„Gewalt wünscht man keinem, aber Sex …?“

Sexualmoral und Bewertungskriterien im internationalen Vergleich

Claudia Mikat

Claudia Mikat ist Geschäftsführerin Programmprüfung der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

Zentrales Thema der International Classifiers Conference (ICC) im Oktober 2017 in Stockholm war der Umgang mit Darstellungen von Sexualität. Eine Befragung unter den teilnehmenden Organisationen aus 23 Ländern im Vorfeld der Konferenz sollte Aufschluss darüber geben, nach welchen Kriterien und zu welchem Zweck sexuelle Inhalte in den verschiedenen Ländern klassifiziert werden: Geht es dabei um Nacktheit, um sexuelle Handlungen oder gar Orientierungen, um sexualisierte Sprache oder um Sex in Verbindung mit Gewalt? Der Beitrag stellt einige Themen der Tagung und Ergebnisse der Erhebung vor.

[Den Beitrag gibt es auch auf Englisch: “Violence? No thanks. Sex, on the other hand …” Sexual morals and evaluation criteria – an international comparison, in tvdiskurs.de und hier als PDF.]

Printausgabe tv diskurs: 22. Jg., 1/2018 (Ausgabe 83), S. 10-15

Vollständiger Beitrag als:

Die sexuelle Freizügigkeit in Schweden ist legendär. Unschuldige Nacktbadeszenen (z.B. in Ingmar Bergmans Die Zeit mit Monika, 1953) machten die „schwedische Sünde“ in den 1950er-Jahren weltbekannt.1 Schweden galt bald als „Keimzelle filmischer Aphrodisiaka“. Eine weibliche Masturbationsszene unter der Kleidung (in Bergmans Das Schweigen, 1963) wurde in Deutschland als unerhört freizügig, der Film als „Sex-Schocker“ wahrgenommen.2 1969 eröffnete der spätere Ministerpräsident Olof Palme in einem Fernsehinterview dem staunenden britischen Journalisten David Frost die Vorzüge der liberalen schwedischen Sexualmoral: Die Zensurbestimmungen seien wenig restriktiv, bestimmte Filme und Bilder könnten in Schweden produziert und verbreitet werden, was auch zu einer natürlichen und normalen Haltung Jugendlicher gegenüber Sexualität führe.3 Für sich genommen, so die Film- und Literaturprofessorin Mariah Larsson, die auf der Konferenz die 100-jährige schwedische Zensurgeschichte Revue passieren ließ, galt und gilt Sexualität in Schweden nicht als entwicklungsbeeinträchtigend.

Anders sei es, sofern Gewalt im Spiel ist. „Streng bei Gewalt, großzügig bei Sex“ – so hatte 1998 der damalige stellvertretende Direktor der staatlichen Zensurbehörde das Paradigma im schwedischen Jugendmedienschutz zusammengefasst.4 Das Sozialdrama 491 des Bergman-Schülers Vilgot Sjöman war 1964 der erste Film seit Einführung der Filmzensur 1911, der verboten wurde. Zwar hob seine Königliche Majestät Gustav VI. Adolf das Urteil auf, aber Sjömans Film – der passenderweise vom Scheitern eines liberalen Experiments erzählt – gelangte auch in Schweden nur in einer um 84 Sekunden geschnittenen Fassung in die Kinos. Szenen, die Gewalt und Sexualität verquicken – eine Vergewaltigung und ein angedeuteter Zwang zur Sodomie mit einem Schäferhund –, mussten entfernt werden, obwohl sie – zumal aus heutiger Sicht – keineswegs drastisch oder selbstzweckhaft sind, sondern auf desolate Verhältnisse verweisen, denen mit scheinheiliger Doppelmoral im Wohlfahrtsstaat nicht beizukommen ist.

Bis zum Ende der Zensur im Jahr 2011 folgten weitere Verbote von Filmen, die als „verrohend“ oder „brutalisierend“ eingeschätzt wurden. Vor allem die frühe Zensurpraxis zeige allerdings, dass darunter nicht nur Gewaltpornografie fiel, sagte Larsson, sondern auch „vulgäre Elemente“, die Palme seinerzeit ebenfalls von seinem Wohlwollen ausgeschlossen hatte. Wesentlich waren weniger die bildliche Explizitheit, sondern Abweichungen von einer hetero-normativen Perspektive. Beanstandet wurden Filmszenen, die eine „anstößige“, als „unnormal“ geltende Sexualität darstellten, wie z.B. lesbische Sex- oder Masturbationsszenen oder eben Sjömans Bilder, die – obgleich in polemischer Absicht – mit sexuellen Tabus brachen. Auch im liberalen Schweden, so Larssons Schlussfolgerung, gab es im Umgang mit Sexualität implizite Normen, die festlegten, was als entwicklungsbeeinträchtigend oder ‑gefährdend zu gelten habe. Zentrale Kriterien für ein Verbot wie Verrohung oder Brutalisierung seien nur vorgeschoben, die Subjektivität von einer vermeintlichen Objektivität lediglich verdeckt worden.
 

Wie werden heute Filme bewertet, die Sexualität thematisieren und visualisieren, und welche Normen stehen hinter den Entscheidungen?


Skandinavisches Cluster

Zunächst zeigt sich: Der entspannte Blick auf Sexualität und der vergleichsweise kritische Umgang mit Gewalt kennzeichnen den schwedischen Jugendschutz bis heute. Sex sei schließlich auch etwas Gutes, meinte einer der schwedischen Prüfer, Gewalt würde man dagegen niemandem wünschen. Vergleiche von Filmfreigaben zeigen regelmäßig ein entsprechendes Cluster in ganz Skandinavien im Gegensatz zum angloamerikanischen Raum, wo Darstellungen von Sexualität rigide bewertet werden, die Gewaltakzeptanz dagegen allgemein höher liegt.

Der dritte Teil der Science-Fiction-Saga Planet der Affen: Survival (USA 2017) oder auch das Kriegsdrama Dunkirk (GB/USA/F/NL 2017) haben in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien eine Freigabe ab 12 Jahren erhalten. In Schweden werden beide Filme mit der höchsten Altersfreigabe ab 15 Jahren versehen.

Dagegen ist der Stop-Motion-Film Anomalisa (USA 2015) nach schwedischer Auffassung trotz einer langen Sexszene mit ausführlicher oraler Befriedigung für Kinder nicht beeinträchtigend und wird ab 7 Jahren freigegeben. Das britische BBFC sieht im Liebesspiel der Puppen „a scene of strong sex featuring strong nudity“ und erteilt eine Freigabe ab 15 Jahren. In den meisten anderen Ländern, so auch in Deutschland, werden Freigaben ab 11 bzw. ab 12 Jahren erteilt. Die Sexszene könne Kinder unter 12 Jahren „irritieren und überfordern“, so die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK).5

Ebenso eklatant ist der Bewertungsunterschied beim Animationsfilm Sausage Party – Es geht um die Wurst (USA 2016), der wegen einer Sexorgie unter Lebensmitteln im Supermarkt in den USA ein R‑Rating (ab 17 Jahren) erhielt. Die Szene, in der ein Würstchen stöhnend in ein Hotdog-Brötchen gleitet und alsbald Camembert und Cracker, Taco und Tabascosauce miteinander verkehren, verleihe „dem Begriff ‚Food-Porn‘ eine völlig neue Bedeutung“, ulkt der „Spiegel“.6 In fast allen Ländern erhält die irre Komödie hohe Freigaben ab 15 bzw. 16 Jahren. Sogar in Frankreich, das sonst bei jeglicher Beschränkung der filmischen Kunstfreiheit äußerst zurückhaltend ist, wird der Film erst ab 12 Jahren freigegeben. Allein in Schweden und in Dänemark ist Sausage Party ab 11 Jahren frei und kann in Begleitung Erwachsener auch von 7‑Jährigen gesehen werden.
 


Spezifische Bewertungskriterien

Grundsätzlich unterscheiden sich die versammelten Institutionen darin, ob sie bei der Bewertung von sexuellen Inhalten spezifische Kriterien zugrunde legen oder allgemein gehaltene Kriterien auf konkrete Fälle anwenden.

Sollen Eltern genaue Informationen über die Filminhalte vermittelt werden, spiegeln die Kriterien ihre Erwartungen vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Sexualmoral. Sexuelle Inhalte werden präzise beschrieben, die Alterskennzeichnung wird nach Ausprägung und Frequenz abgeschichtet: Je häufiger und expliziter die Sexszene, umso höher die Altersfreigabe. Welche Inhalte für welche Altersstufe als geeignet oder angemessen angesehen werden, hängt vom jeweiligen kulturellen Kontext ab.

In den USA entspricht die rigide Spruchpraxis der Motion Picture Association of America (MPAA) offenbar dem vermuteten Grad an allgemeiner Prüderie. Es gibt kaum Grenzfälle wie im Gewaltbereich, weil Nacktheit auch im nicht sexualisierten Kontext, sexualisierte Sprache oder auch nur Andeutungen von Sex ohne Details häufig bereits zur Erwachsenen-Kategorie R führen können. Im Roadmovie American Honey (GB/USA 2016) etwa, das von einer Jugendlichen aus ärmlichen Verhältnissen erzählt, die sich einer Drückerkolonne anschließt, sind die „stark sexualisierten Inhalte“ und „explizite Nacktheit“ wesentlich für das R‑Kennzeichen. Zu sehen sind ein Jugendlicher, der vor der Gruppe zweimal seinen Penis zeigt, sowie zwei leidenschaftliche Sexszenen.

Auch in Großbritannien sind öffentliche Meinung und Elternerwartungen wesentliche Grundlage des feingliedrigen Kriterienkatalogs. Für unter 12‑Jährige dürfen nur dezente sexuelle Handlungen wie Küsse, kurze Nacktszenen im nicht sexualisierten Kontext und sexuelle Andeutungen freigegeben werden. Für eine Freigabe ab 12 Jahren ist Nacktheit mit sexuellen Bezügen erlaubt, aber nur kurz und dezent. Häufige und deutliche sexuelle Bezüge oder eine derb sexualisierte Sprache sind für diese Altersgruppe nicht akzeptabel und führen unweigerlich zu einer Freigabe ab 15 Jahren. Entsprechend wird auch American Honey ab 15 Jahren freigegeben: „There is a single use of very strong language (‚c**t‘), as well as strong language throughout (‚f**k‘ and ‚motherf**ker‘). Sex scenes include buttock nudity and sight of pubic hair, as well as thrusting and ‚riding‘. […] There is full frontal male nudity as a man exposes himself in front of his friends and as he dances naked on the roof of a van.“

Die automatisierten Klassifizierungssysteme wie Kijkwijzer (Niederlande) oder KAVI (Finnland) arbeiten ebenfalls mit präzise beschreibenden Kriterien, sind aber wesentlich liberaler in der Zuweisung der korrespondierenden Altersstufen. In beiden Ländern fallen auch deutlichere Sexszenen wie in Teeniekomödien noch in den Bereich der 12er‑Freigaben, sofern sie nicht sehr häufig vorkommen und keine Details zu sehen sind. In Finnland erhält American Honey entsprechend eine Freigabe ab 12, in den Niederlanden eine Freigabe ab 16 Jahren, hier allerdings wegen der Darstellungen von Alkohol und Drogenkonsum.

In ähnlicher Weise reflektieren die Klassifizierungssysteme in Australien, Kanada, Irland, Singapur oder Südafrika die gesellschaftlichen Werte und Moralvorstellungen und bieten mit klaren und einheitlichen Bewertungskategorien Eltern eine Orientierung. Die Freigaben von American Honey liegen bei 15 in Australien, 16 in Irland, 18 in Kanada und Südafrika sowie 21 in Singapur.
 


Entwicklungsbeeinträchtigung und Kontext

In den Ländern, in denen die Frage der potenziellen Entwicklungsbeeinträchtigung im Vordergrund steht wie in Deutschland, Skandinavien oder Frankreich sind die Kriterien allgemeiner und die Freigaben kontextabhängig. Das Alterskennzeichen ist keine Empfehlung, sondern es zeigt den Ausschluss möglicher Wirkungsrisiken an. Spezifische Kriterien für die Bewertung von sexuellen Inhalten gibt es in der Regel nicht.

In Schweden etwa führen Nacktheit auch im sexualisierten Kontext, einvernehmlicher Sex ohne Details (z.B. unter der Bettdecke), explizite sexualisierte Sprache oder sexuelle Anspielungen für sich genommen nicht zu einer Altersbeschränkung. American Honey, in dem es nicht vorrangig um Sex geht, sondern um eine Coming-of-Age- und Liebesgeschichte vor dem Hintergrund eines trostlosen Amerikas irgendwo zwischen Ost- und Westküste, wird in Schweden ab 11 Jahren freigegeben. Auch in Deutschland ist der Kontext wesentlich, das Bild von Sexualität, eventuell mitschwingende Gewalt- oder Diskriminierungstendenzen. Entsprechend bewertet die FSK die derbe Sprache und den Drogenkonsum vor dem Hintergrund des gezeigten sozialen Milieus, sieht „Gewalt- wie Sexszenen sehr dezent inszeniert“ und schließt das Risiko einer Beeinträchtigung ab 12‑Jähriger aus. In Frankreich kommt der Film – mit einer Warnung – ganz ohne Altersbeschränkung in die Kinos.
 

Sexuelle Orientierung

Die sexuelle Orientierung spielt für die Altersbewertung in den meisten Ländern keine Rolle mehr. Eine Ausnahme ist Singapur, wo jegliche Darstellung von Sexualität mindestens eine Freigabe ab 18 Jahren erhält und Sex unter Gleichgeschlechtlichen nur dann mit der höchsten Kategorie ab 21 zugelassen wird, wenn ein homosexueller Lebensstil nicht propagiert oder gerechtfertigt wird.

Das trifft auf das Drama Carol (GB/USA 2015) zu, das eine lesbische Liebesgeschichte in den USA der 1950er‑Jahre erzählt, die an gesellschaftlichen Vorurteilen zerbricht. Allein wegen des Themas „Homosexualität“ wird der Film in Singapur mit R‑21 gekennzeichnet. Das britische BBFC fokussiert auf eine angedeutete Sexszene und ordnet diese als drastisch ein: „A strong sex scene features sexualised breast nudity and the suggestion of oral sex, with one woman’s head between another’s legs“: Freigabe ab 15 Jahren (USA R, Korea 18, Südafrika 16, Irland 15). In den Niederlanden und in Finnland führt dieselbe Szene zu einer Freigabe ab 12 Jahren. Die FSK würdigt die „ruhigen, eleganten Bilder“ und die dezente Inszenierung eines erotischen Moments und gibt den Film ab 6 Jahren frei (in Frankreich und Norwegen o.A.).

Auch für die Bewertung des oscarprämierten Dramas Moonlight (USA 2016) ist in Singapur die Andeutung einer homoerotischen Beziehung ausschlaggebend für die Freigabe ab 18 Jahren. In Großbritannien sprechen wieder die konkreten Sexszenen für eine Freigabe ab 15 Jahren: „Scenes of sexual activity include implied masturbation and penetration, and in one scene a character wakes up following a ‚wet dream‘. Strong verbal references are made to oral sex and intercourse“ (USA R, Korea 18, Irland 15). In der FSK-Begründung werden die homoerotische Beziehung zwischen dem Protagonisten und seinem Freund oder konkrete Sexszenen nicht einmal erwähnt. Ausschlaggebend für die Freigabe ab 12 Jahren sind vielmehr „eindringliche Darstellungen von Konflikten, Gewalt und Drogenmissbrauch“ (Schweden/Dänemark 11, Norwegen/ Finnland 12, Niederlande 12, Frankreich o.A.).
 

Gesellschaftliche Akzeptanz

Die Vor- und Nachteile der beiden Ansätze liegen auf der Hand: Standardisierte Informationen zum Filminhalt bieten verlässliche Kategorien und spezifische Merkmale für die Zuordnung zu einer bestimmten Altersgruppe. Subjektive Einflüsse sind so weit wie möglich zurückgenommen. Da allgemeine Werte und Erwartungen einbezogen werden, ist die gesellschaftliche Akzeptanz relativ hoch, Beschwerden sind entsprechend seltener. Auf der anderen Seite bleibt der Kontext unberücksichtigt, die Bewertung wird dem Gegenstand oft nicht gerecht, weil ein Film nun einmal mehr ist als die Summe seiner Einzelteile.

Die relativ freie Auslegung von allgemein gehaltenen Kriterien ist dagegen anfälliger für eine subjektive Einflussnahme durch die Prüfenden. Ausschusspluralität kann dem zwar entgegenwirken, dennoch können Grenzfälle je nach Zusammensetzung des Gremiums und persönlicher Einstellung seiner Mitglieder so oder so entschieden werden. Expertenmeinungen, die nach ausführlicher Diskussion zustande kommen und sich auf das Filmganze beziehen, weichen oft erheblich von elterlichen Einschätzungen ab. Wie bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), wo Zuschaueranfragen nahezu ausschließlich sexualthematische Inhalte betreffen, die im Tages- oder Hauptabendprogramm unangemessen erscheinen, richten sich auch in Schweden die Beschwerden vor allem gegen Freigaben von sexuellen Inhalten, die als zu freizügig empfunden werden.
 

Neuer Konservatismus

Vor diesem Hintergrund ist für Mariah Larsson keineswegs sicher, dass die legendäre liberale Haltung gegenüber einvernehmlichem Sex in Schweden weiterhin Bestand haben wird. Vor knapp zwei Jahrzehnten löste die Freigabe von American Pie (USA 1999) ab 7 Jahren keine nennenswerten Reaktionen aus, heute wird die Freigabe von Sausage Party auch in Schweden kontrovers diskutiert. 2015 sorgte der Cartoon Snoppen och Snippan (auf Deutsch etwa „Pipimann und Pipifrau“) im schwedischen Kinderfernsehen des öffentlich-rechtlichen Senders SVT für Aufsehen. Das Aufklärungsvideo, in dem Penis und Scheide mit Hut, Sonnenbrille und Mikrofon tanzen, sollte es Eltern erleichtern, mit ihren Kindern über Geschlechtsorgane zu sprechen – ein Angebot, das von vielen als Zumutung empfunden wurde. Die Beschwerden sind symptomatisch für einen gesellschaftlichen Wandel, meinte Larsson. Es gebe einerseits eine große Liberalität in den Bewertungen, andererseits aber auch mehr Puritanismus in der Gesellschaft.
 


Konservativer Gegenwind ist auch in Frankreich zu spüren. Gegen die Bewertung von Sausage Party durch das Centre national du cinéma et de l’image animée (CNC) liefen christliche Organisationen Sturm, der Vorsitzende der christdemokratischen Partei forderte in einem offenen Brief an die zuständige Ministerin, die Freigabe ab 12 Jahren zurückzunehmen. „Erklären Sie uns, wie Sie die Vorführung einer gigantischen Orgie vor Familien rechtfertigen“, heißt es in einem Tweet, der durch vermeintlich eindeutig-pornografische Standbilder aus dem Würstchenfilm an Schlagkraft gewinnen soll – er stammt von La Manif pour tous, einer Bewegung gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und für den Erhalt der traditionellen Familie.7


Fazit

Altersbewertungen von Filmen mit sexuellen Inhalten fallen sehr unterschiedlich aus – je nachdem, welche sexualethischen Normen hinter den Bewertungskriterien stehen. Das gilt in Bezug auf verschiedene Länder wie auch innerhalb einer Gesellschaft. Um die allgemeine Akzeptanz von Freigaben zu erhöhen, ist es hilfreich, die hinter der Bewertung stehenden Kriterien offenzulegen. In Deutschland geht es wie in Schweden nicht darum, ob Inhalte geeignet oder nach moralischen Maßstäben angemessen sind oder vielleicht unangenehme Nachfragen provozieren. Es geht allein um die Frage, ob Inhalte Kinder in ihrer Entwicklung beeinträchtigen oder gefährden können. Mehr als in Deutschland betonen die skandinavischen Länder in diesem Zusammenhang die UN-Kinderrechtskonvention und das Recht von Kindern auf Information und Zugang zu Medien. Wünschenswert wäre es, bei der Einschätzung von Wirkungsrisiken die Sicht von Kindern miteinzubeziehen. Erste Ansätze macht man in Dänemark: Hier wurden Kinderpanels eingerichtet, um herauszufinden, welche Inhalte die Heranwachsenden selbst als grenzüberschreitend wahrnehmen – andernorts undenkbar.
 

Anmerkungen

1 Kårlin, H.: Die schwedische Sünde im Nostalgicum in Göteborg. In: goteborg-schweden.blogspot.de (letzter Zugriff: 26.01.2018)

2Sündige Brüder. In: Der Spiegel, 15/1964, 08.04.1964 (letzter Zugriff: 26.01.2018)

3 David Frost interviewing Olof Palme, 1969. In: Youtube.com (letzter Zugriff: 26.01.2018)

4 Streng bei Gewalt, großzügig bei Sex – Jugendschutz in Schweden. Joachim von Gottberg im Gespräch mit Erik Wallander. In: tv diskurs, Ausgabe 6, 3/1998, S. 4–15

5 Zu den Entscheidungsbegründungen des BBFC siehe: http://www.bbfc.co.uk/, zu den Entscheidungsbegründungen der FSK siehe: https://www.spio-fsk.de/?seitid=2

6 Busche, A.: Animationsfilm „Sausage Party“. Versaute Würstchen, prüde Brötchen. In: Spiegel Online, 06.10.2016 (letzter Zugriff: 26.01.2018)

7 Vietzen, J.: „Pornographie für Zwölfjährige“: Aufregung um französische Altersfreigabe von „Sausage Party“. In: Filmstarts, 02.12.2016 (letzter Zugriff: 26.01.2018)

tv diskurs veröffentlicht in jeder Ausgabe eine Auswahl an Altersfreigaben aktueller Spielfilme. Alle bisher publizierten Freigaben aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Großbritannien, Frankreich, Dänemark und Schweden sowie Ergänzungen aus Japan, Spanien und den USA können abgefragt werden unter: tvdiskurs.de/filmfreigaben.