Die Stimme des anderen

„Die Romantik ist verschwunden“

Tilmann P. Gangloff im Gespräch mit Benjamin Völz

Synchronschauspieler Benjamin Völz (56) ist dank seiner Vertonung von Hollywood-Stars wie Keanu Reeves (Speed, Matrix), David Duchovny (Akte X, Californication), James Spader (Boston Legal, The Blacklist), Charlie Sheen (Wall Street, Two and a Half Men) und Matthew McConaughey (True Detective, Interstellar) seit rund 30 Jahren eine der bekanntesten Stimmen Deutschlands; er hat Hunderte von Filmen und Serienfolgen synchronisiert. Völz ist zudem regelmäßig Sprecher in Dokumentationen des ZDF (Terra X) oder von Spiegel TV. Sein Vater ist der Schauspieler Wolfgang Völz, dessen Stimme in Deutschland jedes Kind kennt: Er spricht Käpt’n Blaubär. tv diskurs sprach mit Benjamin Völz über ein Handwerk, das eigentlich ein Mundwerk ist.

Printausgabe tv diskurs: 20. Jg., 4/2016 (Ausgabe 78), S. 77-79

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Synchronsprecher ziehen es offenbar vor, im Hintergrund zu bleiben. Aber warum ergreift man einen öffentlichen Beruf, wenn man gar nicht in Erscheinung treten will?

Ich denke, viele Kollegen haben ähnlich wie ich als Schauspieler gearbeitet und irgendwann festgestellt, dass sie im Synchrongewerbe ein interessantes Betätigungsfeld gefunden haben. Mir gefällt es z.B. sehr, die Entwicklung der Schauspieler, die ich schon lange spreche, mitvollziehen zu können, auch wenn ich natürlich keinerlei Einfluss auf ihre Arbeit habe; wenn ein Hollywood-Star nur noch in mäßigen Filmen mitwirkt, muss ich die eben auch synchronisieren.

Bei welchen Schauspielern gab es die größten Veränderungen?

Ich bin seit den 80ern die deutsche Stimme von James Spader, der damals mit Sex, Lügen und Video einen seiner besten Filme gedreht hat. Vor gut zehn Jahren hat er dann die Hauptrolle in der Anwaltsserie Boston Legal gespielt. Als ich ihn nach einer Pause in der Serie The Blacklist gesprochen habe, war ich sehr überrascht: ein völlig anderer Typ, der sich komplett gewandelt hat. Das macht meine Arbeit natürlich viel interessanter, als wenn jemand immer die gleichen Rollen spielt. So ging es mir lange Zeit mit Matthew McConaughey. Der hat bis vor einigen Jahren eine romantische Komödie nach der anderen gedreht, immer nach dem gleichen Muster, sich mittlerweile aber zu einem großartigen Schauspieler gemausert; die Serie True Detective war mit das Anspruchsvollste, was ich je gesprochen habe.

Welches Talent ist am ehesten nötig, um Ihrem Hand- oder auch Mundwerk nachzugehen?

Eine Schauspielausbildung und eine gute Sprechstimme sind die wichtigsten Voraussetzungen. Man sollte aber auch eine rasche Auffassungsgabe haben und einen gewissen Enthusiasmus für Filme mitbringen.

Wie läuft eine Synchronisation im Alltag ab? Als Laie stellt man sich das wie eine Theaterprobe vor: Das gesamte Ensemble trifft sich, und dann geht man gemeinsam den Text durch.

Das wäre schön, kommt aber so gut wie nie vor. In der Realität steht man allein im Studio, schaut sich die Szene im Original an und spricht dann den Text, den man unmittelbar zuvor gelesen hat. Bei Zwei-Personen-Stücken ist es natürlich ideal, wenn der Partner auch anwesend ist und man einen Film oder mehrere Serienfolgen zu zweit synchronisieren kann, wie ich das z.B. bei der Serie Two and a Half Men erlebt habe, aber so etwas ist die Ausnahme. Die deutschen Sprecher sind jedoch so routiniert und professionell, dass man das dem Produkt nie anhört.

Warum trifft man sich nicht im Studio?

Weil die Abläufe so weit wie möglich rationalisiert worden sind. Mittlerweile ist auch der Termindruck sehr groß geworden. Früher ist mitunter ein Jahr vergangen, bevor eine amerikanische Serie bei uns ins Fernsehen kam, heute starten Kinofilme und TV Produktionen annähernd zeitgleich mit den US-Ausstrahlungen auch in Deutschland.

Was hat sich sonst noch verändert?

Die Romantik ist verschwunden. Ich erinnere mich noch gut an die Arbeit an Ran, ein Spätwerk des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa Mitte der 80er: Da war das gesamte Ensemble im Synchronstudio, das war tatsächlich wie bei einer Theaterprobe, es war genug Zeit, um auch mal was zu überdenken und auszuprobieren. Das ist lange vorbei.

Dann ist die Synchronqualität heute schlechter?

Das würde ich nicht sagen. Dem künstlerischen Aspekt wird oft nur noch bei aufwendigen Produktionen Bedeutung beigemessen, aber dafür sind die technischen Möglichkeiten dank der Digitalisierung heute generell ganz andere, das gleicht sich wieder aus; man kann viel punktgenauer arbeiten. Heute erwarten die Kunden, also die Filmverleiher, vor allem technische Perfektion. Als ich damals angefangen habe, wurde noch mit der Schere an Magnettonbändern rumgeschnippelt.

Ein großes Thema für die Verleiher ist auch die Verhinderung von Raubkopien. Wie erleben Sie das?

In der Hinsicht hat sich ebenfalls eine Menge geändert. Das lässt sich am besten anhand der Matrix-Trilogie erläutern. Bei der Synchronisation des ersten Teils, das war 1999, habe ich vorher eine DVD bekommen, um mir den Film anschauen zu können. Das wäre heute undenkbar. Bei den Teilen zwei und drei erfolgte die Synchronisation nach dem Adventskalender-Prinzip: Der Bildschirm war komplett schwarz, bloß bei den Dialogen öffnete sich irgendwo ein kleines Fenster, sodass die Lippen von Keanu Reeves zu sehen waren. Das führte teilweise zu absurden Momenten. Wenn man einen Schauspieler nur stöhnen hört, kann das ja alle möglichen Ursachen haben, etwa einen Schlag in den Magen; oder Sex. Die meisten Produktionen sind heutzutage durch ein „Wasserzeichen“ geprägt, quer über dem Bild steht der Name des jeweiligen Hollywood-Studios, also etwa Disney, Warner oder Fox.

Vor einigen Jahren haben die Synchronsprecher in einer öffentlichen Aktion auf ihre schlechte Bezahlung hingewiesen. Hat sich die Lage mittlerweile gebessert?

Die etablierten Sprecher, die regelmäßig bekannte Hollywood-Stars synchronisieren, haben ihren Marktwert erkannt und lassen sich entsprechend bezahlen. Das ist aber immer noch deutlich weniger, als irgendwelche TV-Stars bekommen, die mit Synchronisation ansonsten überhaupt nichts zu tun haben. Damit meine ich aber ausdrücklich nicht Hape Kerkeling oder Otto Waalkes, die ihre Sache bei Kung Fu Panda oder Ice Age großartig machen. Die ganze Branche ist unterbezahlt, und das gilt nicht nur für die Sprecher, sondern auch für die Synchronstudios und ihre Mitarbeiter. Deutsche Synchronisationen bewegen sich in der Regel auf sehr hohem Qualitätsniveau. Der Marktwert ist gewaltig, aber das Selbstbewusstsein ist leider nicht annähernd so hoch.

Benjamin Völz ist Synchronschauspieler und Sprecher in Dokumentationen.

Tilmann P. Gangloff ist freiberuflicher Medienfachjournalist.