Amokläufer und Terroristen

Die Rolle der Medien

Britta Bannenberg

Britta Bannenberg ist Professorin für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Warum begehen Menschen Amoktaten, wie lassen sich Risikofaktoren identifizieren und die Gewalttaten verhindern? Unterscheiden sich junge und erwachsene Täter? Ursachen und Prävention von Amoktaten zu erforschen, war das Ziel des Verbundprojekts „TARGET“ (Tat- und Fallanalysen hochexpressiver zielgerichteter Gewalt). In dem kriminologischen Teilprojekt wurden zahlreiche deutsche Fälle analysiert und verglichen. Wesentlich für das Verständnis der Taten ist die Psychopathologie der Einzeltäter. Bis es jedoch zur Tat kommt, durchlaufen die Täter eine längere Entwicklung, bei der zahlreiche Risikofaktoren und Verstärker ihren Entschluss festigen. In diesem Zusammenhang spielt die Mediendarstellung keine geringe Rolle. Interessant sind die gegenseitigen Bezugnahmen von Amoktätern und terroristischen Tätern, wie sich an den aktuellen Entwicklungen in diesem Sommer zeigt.

Printausgabe tv diskurs: 20. Jg., 4/2016 (Ausgabe 78), S. 40-43

Vollständiger Beitrag als:

Amoktäter und Terroristen bezwecken mit ihren Taten maximale Aufmerksamkeit durch die Medien. Bei Terroristen ist zwischen Einzel- und Gruppentätern zu unterscheiden: Terroristische Einzeltäter und Amoktäter haben Gemeinsamkeiten, weil bei ihnen die psychisch auffällige Persönlichkeit dominiert. Mit hoher Suizidbereitschaft zielen sie auf Medienwirkung über den Tod hinaus. Bei der Tat inszenieren sie sich als Einzeltäter. Die terroristischen Gruppentäter versuchen zwar ebenfalls, Angst und Schrecken zu verbreiten, und setzen auf die Signalwirkung ihrer Taten; im Vordergrund steht für sie aber eine gruppenbezogene (Hass-) Botschaft: Die Angehörigen der potenziellen Opfergruppe oder die Gesellschaft als Ganzes sollen sich nicht mehr sicher fühlen. Persönlich kommt es Gruppentätern darauf an, sich der Strafverfolgung zu entziehen.

Junge Amoktäter

Im Juni 2016 wurde das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte, interdisziplinäre Forschungsprojekt „TARGET“ und hier das Teilprojekt Gießen: „Kriminologische Analyse von Amoktaten (jugendliche und erwachsene Täter von Mehrfachtötungen, Amokdrohungen)“ abgeschlossen. Dies ermöglicht den Bericht über aktuelle Forschungsergebnisse zu Amoktätern. Der Abschlussbericht und mehrere Publikationen werden im Jahr 2017 veröffentlicht (siehe bereits Bannenberg/Bauer/Kirste 2014, S. 229 ff.). Amoktäter sind in der Regel Einzeltäter, die durch eine spektakuläre Mehrfachtötung hohe Aufmerksamkeit erzielen wollen. Junge und erwachsene Amoktäter weisen einige Gemeinsamkeiten, aber auch große Unterschiede auf.

Nach über drei Jahren interdisziplinärer empirischer Analyse von nahezu allen Amoktaten junger Täter (bis 24 Jahre) in Deutschland (bis in die frühen 1990er-Jahre zurückreichend), hat sich gezeigt, dass die Kerngruppe junger Täter (21 Täter, darunter zwei Mädchen) spezifische Merkmale aufweist. Analysiert wurden insgesamt 35 Fälle junger Täter, die eine beabsichtigte Mehrfachtötung versucht oder vollendet hatten. 21 Fälle können als Kernfälle angesehen werden, 14 weitere Fälle dienen als Vergleichsgruppe, da sie sich in Täterpersönlichkeit, Motiv und Vorgehensweise unterscheiden.

Unter den analysierten Taten befinden sich u.a. die medial besonders bekannt gewordenen Taten aus Erfurt (26.04.2002), Emsdetten (20.11.2006) und Winnenden/Wendlingen (11.03.2009). Die qualitativen Fallanalysen stützen sich auf Strafakten und Asservate, Selbstzeugnisse der Täter, Interviews mit Tätern, Opfern und dem sozialen Umfeld sowie auf psychiatrisch-psychologische Einschätzungen, auch im Wege der psychologischen Autopsie, soweit die Täter nach der Tat durch Suizid oder provozierten Suizid verstorben sind.

Hassgedanken und Verachtung der Gesellschaft

Die jungen Amoktäter begehen eine geplante Mehrfachtötung, weil sie als sonderbare Einzelgänger psychopathologisch auffällig sind und ein Motivbündel von Wut, Hass und Rachegedanken entwickeln, das nicht rational begründet ist. Die Persönlichkeit zeigt narzisstische und paranoide Züge, das bedeutet, die jungen (ganz überwiegend männlichen) Täter sind extrem kränkbar, egoistisch, nicht empathisch, aber nicht impulsiv oder aggressiv auffällig. Sie fühlen sich oft gedemütigt und schlecht behandelt (manchmal auch nur nicht genügend beachtet und bewundert), ohne dass die Umwelt dieses nachvollziehen kann. Sie beginnen, im Internet nach Vorbildern und Ventilen für ihre Wut zu suchen. Sie sinnen lange über „Rache“ und eine grandiose Mordtat nach, entwickeln ausgeprägte Gewalt- und Tötungsphantasien und finden insbesondere in der Tat an der Columbine High School (20.04.1999), die im Internet in vielfältiger Form auffindbar ist, nach wie vor eine Möglichkeit der Identifikation. „Columbine“ fasziniert junge Tatgeneigte und die späteren Täter vor allem auch deshalb, weil Originalsequenzen des Tatgeschehens in einem Video sichtbar sind und die Tat enorme Medienwirkung hatte. Botschaften der Täter mit Gewaltrechtfertigungen und einer Verachtung der Gesellschaft sprechen Personen an, die sich selbst für grandios halten und die Gesellschaft ablehnen.

Bereits vorhandene Gewaltphantasien

Für Monate kann die Befassung mit den Tätern und das Ansehen entsprechender Videos befriedigend sein, weil sich Tatgeneigte in ihrer Phantasie selbst als Täter sehen und sich einzelne Aspekte ausmalen und dies genießen. Ein überlebender Täter beschrieb diesen Zustand als eine Phase, in der er zwei Gesichter haben musste: eines für die Schule und die Familie (das unauffällige Gesicht, das keine Andeutungen über die Faszination für Amoktaten und „Columbine“ zeigen durfte) und das zweite Gesicht, das er nur allein vor dem Computer zeigte und bei dem er anfing, sich mit der eigenen Tatplanung zu beschäftigen. Das zeigt, dass es auch jugendtypische Aspekte dieser Taten gibt: Die Inszenierung der Tat und die Selbststilisierung als sich rächendes Opfer, was mit der Realität nichts gemein hat, sind jugendtypische Facetten dieser Taten. Deshalb haben die in der Öffentlichkeit häufig als Ursache missverstandenen Ego-Shooter, Gewaltvideos und hasserfüllten Liedtexte sowie die Waffenaffinität auch eine besondere Bedeutung als Inspiration und Verstärker für die schon vorhandenen Gewaltphantasien und spielen eine Rolle bei der Selbstdarstellung der im realen Leben erfolglosen, überforderten und sich ständig gekränkt fühlenden Täter. Teilweise wird die Medienresonanz bewusst eingeplant. Gemeinsam mit der heterogeneren Gruppe der erwachsenen Amoktäter ist die hohe Bedeutung des Suizids bzw. des Suizidversuchs nach der Tat auszumachen. Es handelt sich hier nicht um depressive Verzweiflung, sondern um die Inszenierung eigener Grandiosität. Der Täter demonstriert seine Macht und den Hass auf die Gesellschaft und/oder besonders attackierte Gruppen mit einer öffentlichkeitswirksamen Mehrfachtötung, der der Suizid folgt.

Verwenden die Täter Schusswaffen, ist die Opferzahl typischerweise höher. Auch dieser Aspekt findet längst im Internet in zynischen Ranglisten Beachtung (es werden nicht nur Listen geführt, welcher Einzeltäter die meisten Opfer tötete, sondern auch „Versagerlisten“ – wer seine Opfer am häufigsten verfehlte oder „nur“ verletzte). Die jungen Täter griffen in der Regel auf nicht ordnungsgemäß gesicherte Schusswaffen im Haushalt zurück. Alternativ verwendeten sie Hieb- und Stichwaffen sowie Brandsätze. Die Amoktat in München vom 22.07.2016 (am Jahrestag des Attentats von Anders B. Breivik aus dem Jahr 2011) zeigte eine neue Variante, die bereits bei bedrohlichen Nachahmern eine Rolle spielt: Der Täter hatte die Schusswaffe mit Munition im Darknet besorgt.

Juli 2016 und die Folgen

Aktuell findet seit den Taten im Juli eine Vermischung der Phänomene statt, die Tatgeneigte aber nicht irritiert: Am 18.07.2016 attackierte ein 17-jähriger Flüchtling, der sich wohl seit einem Jahr in Deutschland aufhielt, in einem Regionalzug mit einer Axt vier Menschen und verletzte diese sowie nach dem Aussteigen eine Passantin schwer. Als er auch Polizeibeamte angriff, wurde er erschossen. Am 22.07.2016 gegen 18:30 Uhr begannen Meldungen über eine mögliche Terrortat in der Münchener Innenstadt mit mehreren Tätern und mehreren Tatorten. Der U-Bahn-Verkehr wurde eingestellt, die Stadt abgeriegelt und Bilder mit schwer bewaffneten Polizeibeamten liefen im Fernsehen und in sozialen Medien. Letztere dramatisierten das Geschehen in unverantwortlicher Weise. Erst gegen Mitternacht stand fest, dass ein 18-jähriger, psychisch auffälliger Einzeltäter im Münchener Olympiazentrum Menschen erschossen hat. Letztlich waren neun Tote und zahlreiche Verletzte zu beklagen, der Amoktäter hatte sich selbst erschossen.

Die unklare Lage und die Möglichkeit einer Terrorattacke ähnlich wie in Paris im November 2015 riefen eine enorme Verunsicherung hervor. Dieser Fall zeigt auch die problematische Gratwanderung zwischen notwendiger Berichterstattung und übertriebener medialer Darstellung auf: Selbstverständlich hat die Bevölkerung ein Interesse daran, zeitnah von einem Terroranschlag in einer Großstadt zu erfahren. Bei der in den ersten Stunden dominierenden Unsicherheit über das Ausmaß der Gefahr sendeten einige Medien jedoch atemlose Endlosschleifen mit möglichst martialischen Bildern ohne Informationsgehalt, und die sozialen Medien gefielen sich in hysterischer Gerüchtebildung. Das alles ist ein Nährboden für Trittbrettfahrer und Nachahmer.

Am 24.07.2016 geschah in diesem aufgeheizten Medienklima der erste Selbstmordanschlag islamistischer Prägung in Ansbach, bei dem sich ein 24-jähriger Flüchtling vor einem Open-Air-Konzert mit einer Rucksackbombe in die Luft sprengte und 15 Menschen verletzte. In der Folge kam es in ganz Deutschland zu Drohungen mit Amoktaten bzw. Attentaten, aber auch zu erhöhter Aufmerksamkeit für möglicherweise bedrohliche Personen, die Sympathie für die Amoktat und die Anschläge erkennen ließen. Das ist typisch, weil einerseits Trittbrettfahrer motiviert werden, zum Schein Drohungen auszusprechen. Sie genießen die folgende Aufmerksamkeit. Tatgeneigte werden jedoch getriggert und mit ihren schon vorhandenen Tötungsphantasien zur weiteren Planung angeregt. Insbesondere für die Polizei ist die Einschätzung einer realen Bedrohung nicht leicht. Der positive Nebeneffekt der ausufernden Medienberichterstattung ist die Sensibilität für mögliche bedrohliche Personen im sozialen Nahraum oder in Institutionen.

Die Forschung zeigt deutlich, dass Früherkennung und Intervention Taten verhindern kann. Interessant ist aber auch, dass erste Interviews mit bedrohlichen Personen zeigen, dass es für sie irrelevant war, ob der Täter in Würzburg oder Ansbach islamistische Parolen rief. Die Medienwirkung sei entscheidend. Die internationale Forschung unterscheidet deshalb sehr zutreffend zwischen (terroristischen und nicht ideologischen) Einzeltätern und Gruppentätern, weil Erstere sich in der Persönlichkeit ähneln und gegenseitig inspirieren (Ellis u.a. 2016; Hamm/Spaaj 2015).

Erwachsene Amoktäter

Von den erwachsenen Tätern wurde eine Auswahl von 40 Tätern (darunter zwei Frauen) analysiert. Erwachsene sind ebenfalls ganz überwiegend männliche Einzelgänger. Hier dominiert die Psychose vor allem in Form der paranoiden Schizophrenie bei etwa einem Drittel der Täter und bei einem weiteren Drittel eine paranoide Persönlichkeitsstörung. Auch die anderen erwachsenen Täter sind psychopathologisch auffällig und zeigen häufig narzisstische und paranoide Züge. Das bedeutet, sie sind sehr kränkbar und fühlen sich schlecht behandelt und nicht beachtet. Es finden sich auch psychopathische Persönlichkeiten ohne Empathie mit sadistischen Anteilen. Die Erwachsenen sind häufiger querulatorisch auffällig und scheitern in Beruf und Partnerschaft. Auch spielt bei ihnen Alkohol- und Drogenmissbrauch als Verstärker (anders als bei jungen Tätern) eine Rolle. Erwachsene orientieren sich nicht konkret an medialen Vorbildern und ahmen auch keine Kleidungsstile und andere jugendtypische Attribute nach, sie hinterlassen seltener Selbstzeugnisse. Allerdings dürften auch sie von Zeitströmungen und Medienberichten über extreme Gewalttaten inspiriert sein. Kern ihrer Motivlage sind Hass und Groll auf bestimmte Gruppen oder die Gesellschaft als Ganzes, weshalb sie ihre Taten auch oft als Racheakte verstehen.

Bei der Prävention ist danach zu unterscheiden, ob die Täter vor der Tat erkennbar sind und welche Behandlungsmöglichkeiten nach der Inhaftierung bzw. der Unterbringung im Maßregelvollzug wirksam sind. Es zeigt sich, dass junge Täter im schulischen Kontext (vor allem bei ihren Mitschülerinnen und Mitschülern) als seltsam oder bedrohlich auffallen und frühe Interventionen häufiger sind als bei Erwachsenen. Auch ist das Droh- und Warnverhalten der jungen Täter ausgeprägter. Bei Erwachsenen werden viele Warnsignale und Andeutungen der Tat häufig nicht ernst genommen oder nur im spärlichen familiären Umfeld registriert. Polizei und Psychiatrie werden in der Regel nicht informiert, auch nicht, wenn die Täter als Sportschützen Zugang zu Schusswaffen haben. Im beruflichen Kontext versucht man, den unangenehmen Mitarbeiter zu kündigen, schaltet aber nicht die Polizei ein.

Die Prognose verurteilter und untergebrachter Täter ist nur dann gut, wenn sich die Persönlichkeitsstörung nicht verfestigt, persönliche Entwicklungsperspektiven ergriffen werden und eine Distanzierung von den Hassgedanken gelingt (insgesamt also eher selten).

Fazit

Medien stehen bei der Berichterstattung über aktuelle Amoktaten und Terrorakte vor der Herausforderung, Fakten zu berichten, die von hohem allgemeinem Interesse sind und deshalb große Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und der Gefahr, Nachahmer und Trittbrettfahrer zu animieren. Gut wäre deshalb insbesondere in den ersten Tagen eine zurückhaltende, nüchterne Berichterstattung, die relevante Fakten mitteilt, hysterische Übertreibungen jeder Art jedoch vermeidet. Das bedeutet: Jedwede Spekulation über Motive der Täter ist zu unterlassen, erst recht, wenn dadurch ein Verständnis oder gar eine Billigung für die Aktion des oder der Täter durchschimmert (z. B. Amoktäter war Mobbingopfer, Attentäter war traumatisiert). Gerade Rechtfertigungen der Gewalt, die mit der Realität nichts zu tun haben, laden geneigte Personen zur Identifikation ein. Das Bild eines Täters zu zeigen und seinen Namen zu nennen, mag (bestätigt durch den Presserat) zwar zulässig sein, weil ein solcher Täter zur Person der Zeitgeschichte wird und deshalb sein Persönlichkeitsrecht zurückstehen muss. Die prominente Darstellung von Bild und Namensnennung auf der Titelseite regt Nachahmer aber besonders an. Sie sehen, dass man auch mit einer gesellschaftlich äußerst negativ bewerteten Tat „berühmt“ und bekannt werden kann, was sie ja gerade anstreben. Die Opfer wie Trophäen aufzureihen, dürfte sich von selbst verbieten, zumal Opferangehörige im direkten zeitlichen Zusammenhang mit einer Tat in der Regel keine Zustimmung zum Abdruck eines Bildes erteilen. Bei einer späteren sachlichen Berichterstattung mit Einwilligung mag das anders aussehen.

Literatur:

Bannenberg, B./Bauer, P./Kirste, A.: Erscheinungsformen und Ursachen von Amoktaten aus kriminologischer, forensisch-psychiatrischer und forensisch-psychologischer Sicht. In: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 4/2014, S. 229–236

Ellis, C./Pantucci, R./de Roy van Zuijdewijn, J./Bakker, E./Gomis, B./Palombi, S./Smith, M.:Lone-Actor Terrorism. Final Reporthttps://rusi.org/publication/occasional-papers/lone-actor-terrorism-final-report. Royal United Services Institute (RUSI), April 2016. Abrufbar unter: www.rusi.org

Hamm, M./Spaaj, R.: Lone Wolf Terrorism in America: Using Knowledge of Radicalization Pathways to Forge Prevention Strategies. Indiana State University 2015